Der vergessene Strand
nicht …
«Schlechte Nachrichten?» Dan stand vor dem Tisch, den großen Topf in beiden Händen. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie er den Tisch gedeckt hatte.
«Nein, ach …» Sie steckte das Smartphone weg. Die Jahre ließen sich nicht in wenigen Tagen beiseitewischen. Und mit Kind konnte sie Michael ohnehin nicht aus ihrem Leben streichen.
Dan brachte einen Korb mit duftigem, hellem Brot. Die Suppe war heiß, scharf und süßlich; mit Kokosmilch und Ingwer und viel Chili. Ihre Nase lief, aber erst als die ersten Tränen tropften, merkte sie, dass nicht die Chilischärfe der Grund dafür war.
Wortlos stand Dan auf. Er holte ihr ein Päckchen Taschentücher und schob es über den Tisch. Dann aß er weiter, als wäre nichts geschehen. Bestimmt dachte er, dass sie von den Hormonen gebeutelt wurde.
«Tschuldige», flüsterte sie, doch er schüttelte bloß den Kopf. Als gäbe es nichts zu entschuldigen. Als sei alles in bester Ordnung.
Sie aßen auf, und danach räumte Dan den Tisch ab. Als er das Spülwasser einließ, stand sie auf. Sie war wieder müde, aber ein bisschen wollte sie sich nützlich machen, wenn er sie schon bei sich aufnahm. Sie fand ein sauberes Geschirrtuch, und während sie abwuschen, erzählte Dan eine alberne Geschichte über einen Campingurlaub, den er vor Jahren mal gemacht hatte, in Amerika. Als das Geschirr am nächsten Morgen von Waschbären so saubergeleckt war, dass seine Freunde und er gedacht hatten, die anderen hätten wohl abgespült.
«Ihr seid mit dem Wohnmobil durch Amerika gefahren?»
Er nickte. «Einmal quer durch Kanada. Sechs Wochen die perfekte Freiheit.»
Sie beneidete ihn um diese Reise. Wie sie jeden Menschen um jede Reise beneidete. Sie hatte allenfalls mal eine Woche Cluburlaub gemacht.
Immerhin hatte sie es jetzt nach Pembroke geschafft.
Sie setzten sich wieder aufs Sofa. Dan kochte mehr Tee und holte aus dem Wohnzimmer eine verschlissene Quiltdecke, unter die Amelie sich kuschelte. Schokolade und Ingwerkekse erschienen wie von Zauberhand auf dem Tischchen neben dem Sofa, und Amelie erzählte von ihrem Buch und davon, dass sie bei ihren Recherchen irgendwann ins Stocken gekommen sei. Darum sei sie hier.
«Und jetzt willst du zurück zu Mr. Amelie.»
Er klang nicht betrübt oder neugierig, sondern ganz sachlich.
«Ich weiß nicht, ob er noch Mr. Amelie sein will.» Sie biss sich auf die Unterlippe. Bloß nicht schon wieder losheulen. Sie hatte heute schon genug geheult.
«Vielleicht ändert er seine Meinung, wenn du ihm davon erzählst.»
«Vielleicht auch nicht.»
Sie wollte nicht darüber reden, und das spürte er. Unwillkürlich hatte sie die Arme verschränkt und starrte geradeaus. Ihre Füße fühlten sich eiskalt an.
«Ich geh schlafen.» Als sie aufstand, erhob er sich auch, und sie standen einen Moment lang voreinander. Viel zu dicht, und er spürte das, hob die Hand, streichelte unbeholfen ihren Unterarm –, eine Geste, mit der er sie gleichzeitig tief berührte und ein bisschen von sich wegschob. Sie wandte den Kopf ab, denn sonst hätten sie sich sicher geküsst.
Sie ging ins Gästezimmer und wünschte ihm leise eine gute Nacht, aber sie wusste nicht, ob er das noch hörte. Das Geschirr klapperte in der Küche, er räumte auf. Sie lehnte die Tür nur an und lauschte ins Dunkel. Seine Pantoffeln schlurften auf den Holzdielen, dann auf der Treppe. Stille. Dann wieder seine Schritte.
«Ich hab dir Handtücher ins Bad gelegt.»
«Danke.»
Sie schaltete das Licht an, jetzt ging er wieder nach oben, und dann war wirklich alles still. Erst zehn Minuten später schlüpfte sie aus dem Zimmer ins Gästebad. Sie duschte heiß und lange, und danach saß sie im Handtuch auf dem Klo und starrte auf die hellblauen Wandfliesen. Manches hier war noch alt. Vor fünfzehn Jahren hatte es im Haus ihrer Großeltern so ausgesehen. Inzwischen war der Großvater tot und die Großmutter in einem Heim, wo Amelie sie alle halbe Jahre besuchte, zu Weihnachten oder zu Ostern, dann noch im Frühherbst zum Geburtstag. Mehr schaffte sie nicht, aber das lag nicht an fehlender Zeit, sondern daran, dass sie nicht den emotionalen Bezug zur Großmutter hatte. Die hatte Susel immer Vorwürfe gemacht; warum, wusste Amelie bis heute nicht.
Vielleicht sollte sie sie endlich einmal fragen. Sie hatte ein Recht darauf, fand sie. Jetzt, da sie ein Kind bekam, musste sie wissen, welche Tretminen in der Vergangenheit lauerten, welche unterdrückten Vorwürfe von einer Generation an
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