Der vergessene Strand
paar hübsche Details auf dem Mieder. Es hätte ihr gefallen.
Heute Morgen noch hätte sie es sehr gemocht.
Entschieden klappte sie das Magazin zu. «Ich habe heute Post bekommen», sagte sie. «Von deiner Sabina.»
Seine Gabel verharrte in der Luft. Er legte sie auf den Teller, wollte ihre Hand nehmen. Amelie zog sie zurück.
Mein Gott, dachte sie müde. Wann nur ist unser Leben zu solch einem Klischee verkommen?
«Was ist das für ein Brief?»
Irgendwie schaffte sie es, ganz sanft zu sagen: «Das Ultraschallbild von dem Kind, das sie erwartet. Von dir. Fünfter Monat», fügte sie hinzu.
Er erstarrte mitten in der Bewegung.
Sie hatte vorher noch einen schwachen Zweifel gehabt, weil sie hatte zweifeln wollen. Doch die Art, wie er jetzt knapp an ihr vorbeischaute … Sein Schweigen sagte mehr, als sie wissen wollte.
«Ich kann das erklären.»
Sie hatte genug davon. Sie wusste, wie das ausgehen würde: Sie würde sagen, das brauche er nicht zu erklären, sie verstünde schon ganz gut. Er würde ihr seine Liebe beteuern und dass es nur sie gebe für ihn, woraufhin sie aufspringen und ihn beschimpfen würde. Und immer so weiter, bis beide erschöpft waren von einem Streit, dessen Ergebnis im Grunde von vornherein feststand.
Sie konnte nicht länger bleiben. Keine Sekunde mehr.
«Ist schon gut», sagte sie traurig. Sie stand auf.
Sie hatte immer gedacht, wenn sie heirateten, würde ihr das Halt geben. Sicherheit. Dann würde er nicht mehr woanders nach etwas suchen, das sie ihm offenbar nicht geben konnte.
Als sie von der Affäre erfuhr, hatte sie geglaubt, sie würde das schon durchstehen, denn sie hatte nicht an seiner Liebe gezweifelt. Hatte sich darauf verlassen, dass sie für ihn die Eine war.
Aber die Andere bekam jetzt sein Kind.
Er hatte sich mit ihr eine Familie gewünscht. So lange warteten sie noch nicht darauf, und das Warten ließ sie noch nicht verzweifeln. Aber die Andere war schneller gewesen und schenkte ihm jetzt, was er wollte.
Die Geliebte. Die Frau, die Amelie vor vier Monaten fast in die Flucht geschlagen hatte. Auch damals hatte sie einen Brief gefunden, den jemand – vermutlich jene Sabina selbst – durch den Briefschlitz geworfen hatte. Darin Fotos, aus einem Passfotoautomaten, auf denen diese fremde Frau – jünger, hübscher, schlanker, einfach mehr Frau, als Amelie sich je fühlen würde – Michael küsste. Er hatte nicht mal versucht, es zu leugnen. Stattdessen war er vor ihr auf die Knie gegangen und hatte sie gebeten, seine Frau zu werden.
Und sie war so dumm gewesen, Ja zu sagen. Hatte sich einlullen lassen von seinen Beteuerungen, es sei ein schrecklicher Fehler gewesen und werde nie wieder passieren.
Ihre Sachen standen schon gepackt im Schlafzimmer. Sie wuchtete den Koffer die Treppe runter, stellte die Handtasche darauf und kontrollierte noch mal alles. Dann holte sie die Laptoptasche aus dem Arbeitszimmer, packte das Notebook und den USB -Stick mit den Daten ein.
Michael stand im Flur, mit hängenden Schultern und einem waidwunden Blick, der sie fast, aber nur fast, glauben ließ, es könne doch alles ganz anders sein. Es gebe eine andere Erklärung, oder er werde sie aufhalten.
«Du hast also davon gewusst?»
Hilfloses Schulterzucken.
Das war für sie schlimmer als alles andere.
Sie rollte den Koffer zum Auto und verstaute das Gepäck im Kofferraum. Eine Reisetasche stand schon darin, außerdem ein Karton mit ihren wichtigsten Büchern. Alles bereit für die Flucht.
Er stand in der Tür, und ein heller Lichtkeil fiel hinter seinem Rücken in die Einfahrt. Sein Gesicht war in Schatten getaucht, und sie glaubte kurz, sich nicht mehr daran zu erinnern, wie er aussah.
«Amelie …»
«Mach’s gut, Michael.»
Sie stieg ein und setzte zurück. Ihre Finger waren eiskalt, und sie zitterte. Erst als sie zwei Straßen weiter an den Bordstein fuhr und die Hände vors Gesicht schlug, konnte sie weinen.
So schnell war es vorbei. Alles vergebens, alles verschenkt.
Was Beatrix nicht für möglich gehalten hatte, war geschehen. Sie hatte sich schon bei der ersten Begegnung in Henry verliebt.
Es passierte auf einem Ball im Mai des Jahres 1888 . Beatrix wusste, was von ihr erwartet wurde. Sie war siebzehn und trug ein hübsches, taubengraues Kleid mit üppiger Turnüre. Die Männer schauten sie an, weil ihre fast schwarzen Haare und die großen, dunklen Augen im Zusammenspiel mit ihrer blassen Haut «aufregend» waren. So hatte es ihre Mutter
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