Der vergessene Strand
Kindermädchen blieben distanziert im Umgang mit den Kindern.
Der Duke folgte ihrem Ruf schneller als Anne. Er stand schon am nächsten Morgen vor der Tür; vordergründig, weil er Trisk sprechen wollte, doch das sagte er nur, damit er nicht direkt nach ihr fragen musste. Vermutlich wusste er, dass Trisk im Parlament war.
Sie ließ ihn in den großen, offiziellen Salon führen und Erfrischungen aus der Küche kommen.
Er kam rasch zur Sache.
«Anne … Eure Schwester. Sie bekommt mein Kind.»
Sie neigte den Kopf. «Das hatte ich vermutet.»
«Ich weiß es selbst erst seit vorgestern. Sie war völlig außer sich und wollte nichts davon hören, das Kind zu behalten.»
Beatrix schwieg.
«Es ist mein Kind! Ich liebe sie, und ich weiß, wie riskant es ist. Sie könnte vollends ruiniert werden, wenn auch nur ein Wort davon an die Öffentlichkeit gelangt. Aber ich will für sie sorgen, und ich kann es auch. Ich besitze genug Macht, um sie zu versorgen und zu beschützen.»
«Aber könnt Ihr sie auch für alle Zeit vor dem Gerede schützen? Soll sie auf ewig Eure Mätresse bleiben?», fragte Beatrix sanft.
Bei dem Wort «Mätresse» zuckte er zusammen.
«Ihr müsst die Dinge schon beim Namen nennen», fügte sie hinzu.
«Ich mag es nicht, wenn Ihr so von ihr redet. Sie ist …» Er atmete tief durch.
«Sie ist in jedem Fall die Leidtragende. Wenn sie dieses Kind bekommt», er wollte etwas einwenden, doch sie hob die Hand, und er fügte sich, «wird sie auf ewig mit dem Makel leben müssen. Und wenn sie zu einem Arzt geht, der es wegmacht, riskiert sie ihr Leben.»
«Sie bekommt es. Ich lasse nicht zu, dass dieses Kind …»
«Ihr werdet sie schon selbst entscheiden lassen müssen, Sir.» Beatrix erhob sich. Sie hatte sich von diesem Gespräch nicht viel erhofft, aber es verlief völlig anders, als sie es erwartet hatte. Sie war davon ausgegangen, dass der Duke of G- an einer schnellen Lösung interessiert sei. Dass er vielleicht sogar hocherfreut wäre, wenn sie sich ganz pragmatisch um die Einzelheiten kümmerte.
«Wenn Ihr mir nur zusichert, für jede Entscheidung, die Anne treffen mag, aufzukommen. Ich will, dass sie wählen kann.»
«Sie muss dieses Kind behalten.» Seine Stirn umwölkte sich. «Ich bin nur deshalb hier. Dieses Kind soll leben.»
Dass ein Mann so erbittert um seinen Bastard kämpfte, erstaunte Beatrix. Liebte er ihre Schwester tatsächlich?
«Ich werde es versuchen», räumte sie widerstrebend ein. Sie wollte keine Versprechungen machen. Wenn Anne dieses Kind nicht wollte, konnte Beatrix sie schwerlich neun Monate lang gefangen halten.
«Dann habt Ihr meine Unterstützung.» Er zögerte. «Wenn Ihr Geld braucht, zögert nicht, meinen Anwalt anzusprechen. Mr. Goldwyn. Er hat sich bereits mit Anne in Verbindung gesetzt.»
Er schien noch etwas sagen zu wollen, doch dann nickte er nur und ging. Beatrix blieb im Salon zurück.
Zwei Stunden später stand Anne vor der Tür, nassgeregnet und mit einer kleinen Reisetasche neben sich. «Ich bin weggelaufen», sagte sie nur.
Weggelaufen, das hieß: Sie hatte das Haus ihrer Eltern verlassen, ohne jemandem zu sagen, wo sie steckte.
Sofort schickte Beatrix einen Burschen los, der ihre Eltern darüber in Kenntnis setzte, dass Anne für ein paar Tage mit ihr aufs Land reisen würde. Dann wies sie die Kindermädchen an, zu packen, scheuchte ihre Zofe auf und setzte sich derweil mit Anne in den kleinen Salon. Sie musste schnell handeln. Mit ihrem Fortlaufen hatte Anne alles in Gefahr gebracht.
Der Bursche kam zurück und berichtete, dass ihre Eltern erstaunt reagiert hätten; sie hätten nichts von einer Landpartie der Töchter gewusst. Doch da die Nachricht von Lady Beatrix kam, hätten sie sie angenommen.
Sie konnte aufatmen.
Noch wusste sie nicht, wie sie das alles schaffen sollte, was von ihr verlangt wurde. Das Kind sollte leben, hatte G- ihr eingeschärft. Aber Anne wollte es nicht. Sie wollte lieber ihre Gesundheit oder einen Skandal riskieren.
Darum war es das Beste, London vorerst den Rücken zu kehren. Zeit zum Nachdenken für Anne.
Als sie am nächsten Morgen in aller Früh in die beiden Kutschen stiegen, bemerkte Anne den kleinen Henry, der wieder einmal Beatrix’ Nähe suchte.
«Nanu? Ich wusste nicht, dass du ein viertes Kind hast?»
«Das ist Henry. Henry, sag Tante Beatrix guten Tag.»
Er drängte sich noch enger an sie, verbarg das Gesicht in ihrem Rock und flüsterte irgendetwas. Dieses Kind sprach ohnehin nicht viel,
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