Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der vergessene Strand

Der vergessene Strand

Titel: Der vergessene Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Peters
Vom Netzwerk:
Inzwischen hatte sich ihr Leben vollkommen auf den Kopf gestellt.
    Und auch der Grundgedanke ihres Buches war jetzt ein anderer: Anne hatte sich in den Vordergrund geschoben. Sie musste das nur irgendwie den Leuten im Verlag beibringen.
    Natürlich lag es auch an diesem Ort, der sie mit Anne verband. Sie hatten beide eine Zeit ihres Lebens hier verbracht.
    Dass sie das Häuschen beim ersten Mal nicht bemerkt hatte, wunderte Amelie, als sie auf dem Küstenpfad zum Strand kam. Es lag etwas vom Pfad entfernt, aber man konnte es deutlich sehen. Sie lief quer über eine Wiese darauf zu.
    Die Terrasse und die Rückseite des Häuschens waren dem Meer zugewandt. Eine halbhohe Umfriedung aus geflochtenen Weidenzweigen hatte sich im Laufe der Jahre verselbständigt und war zu einem undurchdringlichen Dickicht verwachsen. Die Steinplatten waren teilweise zerbrochen, dazwischen wucherte wild Unkraut. Die Terrassentüren waren fast blind vor Schmutz nach all den Jahren der Vernachlässigung, und die Fensterrahmen brauchten einen neuen Anstrich. Als Amelie einen der dunkelblau gestrichenen Rahmen berührte, schien die Farbe unter ihren Fingern zu zerbröseln.
    Sie ließ sich Zeit, umrundete langsam das Haus und erreichte schließlich die Vordertür. Den Vorplatz, auf dem früher der gelbe Mercedes gestanden hatte.
    Sie blieb stehen.
    Ein gelber Mercedes … Ja, genau. Da vorne, unter dem Birnbaum, hatte er immer gestanden. Ein blassgelbes Ungetüm, und ihr war auf der Rückbank immer furchtbar schlecht geworden.
    Jetzt stand unter dem Birnbaum eine Bank, verwittert und irgendwie schief, als habe jemand sie lieblos dorthin geschoben, ohne sich darum zu kümmern, ob man tatsächlich auch darauf sitzen konnte.
    Amelie trat zu der Bank. Kritzeleien auf der Rückenlehne. Bestimmt von den Dorfjugendlichen von Pembroke, für die musste so ein Haus doch ein willkommenes Ziel für erste Knutschereien und wilde Mutproben sein.
    Mittig war ein Herz eingeschnitten, darin R + S. Daneben weitere Herzchen, die meisten mit einem Edding aufgemalt. Jemand hatte das große, geschnitzte Herz durchgestrichen, immer wieder, und gerade dadurch war es noch auffälliger.
    Sie ging zur Haustür. Dunkelblau wie die Fensterläden. Daneben ein Briefkasten, in dem sich totes Laub gesammelt hatte. Amelie steckte den Schlüssel ins Schloss. Sie atmete tief durch und öffnete die Tür zu ihrer eigenen Vergangenheit.
     
    Sie stieß die Tür weit auf und betrat die Küche. Rechts lag ein kleiner Flur mit Treppe. Der Kühlschrank war uralt, vermutlich funktionierte er nicht mehr. Herd, Backofen. Hängeschränke, in denen sogar noch Geschirr stand, als wäre das Haus nie verlassen worden. Amelie entdeckte zwei Becher: Hahn und Henne, hellgelb glasiert. Ein Klassiker.
    Sie erinnerte sich: In Berlin hatte sie sich lange geweigert, ihren Kakao zu trinken, weil der Becher nur schlicht weiß war. «Ich will Hahn und Henne!», hatte sie gerufen, immer wieder. Hatte sich in ihren Zorn hineingesteigert, bis Mama nachgab und mit ihr ins KaDeWe fuhr, wo sie in der Porzellanabteilung alles kaufte, was es von der Serie gab: Frühstücksbrettchen, kleine Tassen, große Becher, Müslischüsseln, Frühstücksteller. Erst danach war Amelie besänftigt. Die Einzelstücke standen noch heute in ihrem Schrank, auch wenn sie sie nicht mehr benutzte.
    In den anderen Schränken fand sie eine Packung Cracker, eine Dose mit altem Kaffee und sehr viele Mäuseköttel. Amelie schüttelte sich ein bisschen und ging von der Küche in das Esszimmer zur Linken.
    Die Möbel waren mit weißen Laken zugedeckt. Alte, schwere Möbel, wunderschöne Stücke. Bestimmt hatte ihre Großtante sich hier so eingerichtet, und niemand war danach auf die Idee gekommen, die Möbel gegen etwas Modernes auszutauschen. Amelie hob die Laken: Die Stühle waren durchgesessen. Mit ein bisschen Farbe und neuen Polstern wären sie wie neu. Ebenso der Tisch – man musste ihn nur abschleifen und neu lackieren.
    Sie lachte. Schüttelte ein bisschen ungläubig den Kopf. Fing sie wirklich schon an, das Haus in Gedanken einzurichten?
    Das Wohnzimmer ging auf die Terrasse hinaus. Ein Klavier stand in einer Nische, grässlich verstimmt. Daneben ein verrußter, offener Kamin, in dem noch die kalte Asche vom letzten Feuer lag. Unter den weißen Laken zeichneten sich die Silhouetten zweier Ohrenbackensessel und eines Sofas ab. Sie setzte sich probeweise aufs Sofa, und sofort bohrte sich ihr eine ziemlich unangenehme Feder in den

Weitere Kostenlose Bücher