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Der vergessene Strand

Der vergessene Strand

Titel: Der vergessene Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Peters
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Handys sie aus dem Schlaf und aus Dans Armen. Verschlafen ging sie dran.
    «Michael …»
    «Am. Bist du wach genug?» Er klang anders. Aufgeregt. Besorgt.
    «Soweit ja.» Neben ihr regte sich Dan und schaltete das Licht auf dem Nachttisch an. Amelie kniff die Augen zusammen.
    «Am, es ist deine Mutter. Sie … das Krankenhaus hat hier gerade angerufen. Sie wurde gestern Abend eingeliefert. Mehr weiß ich auch nicht, mir wollen sie nichts sagen, ich bin ja kein direkter Angehöriger. Nur dass du dringend herkommen sollst, haben sie gesagt.»
    Sie schüttelte den Kopf. Nein, nein, nein …
    «Ein Unfall?», hörte sie sich fragen, aber Michaels Antwort rauschte an ihr vorbei, sie hörte nur etwas von «Herz», «ernst», «kein Unfall», «sofort kommen».
    «Schlechte Nachrichten?», fragte Dan, aber sie war völlig verwirrt, verhaspelte sich bei der Antwort an Michael, plötzlich sprach sie Englisch und schaute zugleich auf die Uhr, es war halb vier. Mitten in der Nacht.
    «Ich komme», fügte sie hastig hinzu, auf Deutsch diesmal, und sie hörte Michael atmen, schwer atmen. Dann fragte er: «Bist du allein, Am?»
    Sie antwortete nicht, denn was sollte sie schon sagen? Lügen? Dafür war sie nicht geschaffen. Die Wahrheit sagen? Die hatte hier keinen Platz, nicht jetzt, da sie um ihre Mutter fürchtete.
    «Ich komme, so schnell ich kann.»
    Auflegen, durchatmen. Dans Hand auf ihrem Rücken, behutsam. Sie ertrug seine Berührung nicht, fuhr ihn auf Deutsch an, er solle sie gefälligst loslassen. Und dann, nach zwei, drei Atemzügen, erzählte sie, was geschehen war.
    «Ich such dir einen Flug raus.» Er stand auf, lief in Boxershorts und T-Shirt zum Schreibtisch in der Ecke, klappte sein Notebook auf. Sie fiel zurück aufs Bett, umklammerte ihr Handy und versuchte, das rasende Herz zu beruhigen.
    Zu viel, dachte sie. Das ist doch alles zu viel für mich.
     
     
    Die Zeiten waren schwer.
    Obwohl von Beatrix jede Woche ein Umschlag mit Geld kam, wollte Anne sich kein zweites Mal darauf verlassen, dass jemand für sie sorgen würde. Sie dachte jetzt über jedes Pfund nach, ehe sie in den Gemischtwarenladen des Ortes ging. Franny, die ohnehin gut zu wirtschaften verstand, nahm zusätzliche Arbeiten für die reichen Bauern in der Gegend an. An den langen Abenden strickten und stickten sie. Für die Tochter eines Bauern, die sich zu einer Unachtsamkeit hatte hinreißen lassen, wie man es hier hinter vorgehaltener Hand nannte, und die daher schleunigst heiraten musste, fertigten die beiden Frauen im Dezember und Januar eine komplette Aussteuer.
    Alice Munroe war eine verwöhnte unerträgliche Siebzehnjährige. Jeder zweite Satz fing an mit: «Wenn ich erst mal verheiratet bin», und jeder dritte enthielt einen versteckten Hinweis darauf, dass ihr Zukünftiger in direkter Linie von den Tudors abstammte. Sie kam jeden Tag kurz nach dem Mittagessen und blieb bis zum Tee. Anne war gezwungen, jeden Tag mit irgendwelchem Kuchen aufzuwarten, um Alice bei Laune zu halten. Das Mädchen ging jetzt schon in die Breite, obwohl man von seiner «Unachtsamkeit» noch lange nichts sehen konnte. Der arme Tudor-Nachfahre holte sich da ein lautes, dickes Kind ins Haus und würde seine Unvorsichtigkeit schon bald bereuen.
    Ihre eigene Schwangerschaft verbarg Anne in diesen Wochen so gut es ging, weil sie keine Lust hatte, mit Alice über Leiden und Zipperlein zu fachsimpeln. Außerdem ging es ihr gut. Sie hatte kaum Beschwerden, also gab es auch keine Notwendigkeit, dieses Kind zu thematisieren. Ihr genügte es, dass ganz London über sie sprach. Pembroke sollte sie am besten weitgehend ignorieren.
    Sie hatte sich angewöhnt, schwarz zu tragen, allenfalls dunkelgrau oder dunkelbraun, die Kluft einer Trauernden. Das verhinderte allzu neugieriges Nachbohren, und wenn doch jemand fragte, legte sie in einer beschützenden Geste die Hand auf ihren Leib und erklärte, der Vater ihres Kindes sei leider verschieden. Man glaubte also bald, sie sei eine Witwe, die im fernen Pembroke Ruhe suchte. Und darum ließ man sie tatsächlich bald in Ruhe.
    Alles Geld floss in ihre Schatulle, und nur widerstrebend gab sie etwas davon her, wenn Franny danach fragte. Dabei war ihre Dienerin wirklich sparsam. Wo Elise früher ein Pfund verlangt hatte, kam sie mit acht oder neun Schilling aus. Es gab die meisten Tage Eintopf, die Reste aufgewärmt am folgenden Tag, mit einer Scheibe Brot, das Franny einmal die Woche im örtlichen Backhaus backte. Sie stand oft

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