Der vergessene Strand
freigebig gewesen. Jetzt hielt er sie kurz, als könnte er sie damit bestrafen. Sein Liebesentzug war für sie schlimmer als die paar Pfund, die sie nicht zum Hutmacher tragen konnte.
«Und dann? Was wird dann aus mir?»
Beatrix wusste, was Anne meinte. Nach der Geburt des Kindes.
«Wir werden gute Eltern suchen für das Kind. Und danach wartet Sir Cornelius in Boston auf dich. Und wenn ich dich eigenhändig dorthin schleifen muss: Du wirst ihn heiraten, Anne. Er ist der Einzige, der über deinen Makel hinwegsehen kann. Und Amerika ist allemal der bessere Ort für dich.»
Sie stand auf. Plötzlich war sie sehr müde.
«Mehr habe ich dir nicht zu sagen», erklärte sie. «Ich wünschte, ich könnte mehr für dich tun.»
«Das wünschte ich auch.»
Anne blieb sitzen. Franny brachte Beatrix Hut und Mantel. Im engen Flur hielt sie die Hutnadeln, während Beatrix vor dem niedrig hängenden, runden Spiegel leicht nach unten ging, um ihre Locken unter den Hut zu stopfen. «Passt du auf sie auf, Franny?»
«Sie ist sehr traurig, Mylady. Sie weint viel, und manchmal lacht sie dann wieder.»
«Sie ist verwirrt. Schreib mir, wenn es ihr schlechter geht. Im Moment kann ich aber nichts mehr für sie tun.»
«Das kann keiner.»
Franny war eine kluge Frau. Sie hatte nicht viel vom Leben erwartet, aber mehr bekommen. Vielleicht sollten wir uns mit dem bescheiden, was wir bekommen, dachte Beatrix. Das bewahrt zumindest vor Enttäuschungen.
Zu ihrer Überraschung war Trisk daheim, als sie am nächsten Abend zurückkehrte. Er sei im Kaminzimmer, teilte das Dienstmädchen ihr mit, das Hut und Mantel entgegennahm.
Beatrix bat darum, das Abendessen in einer halben Stunde zu servieren. Daraufhin teilte das Mädchen mit, Mylord habe mit den Kindern bereits vor einer Stunde gegessen.
Außergewöhnlich. Sonst aß er nie mit den Kindern, sondern ging in den Club, wenn sie nicht daheim war. Oder zu einer Mätresse.
«Ich habe dich nicht so früh zurückerwartet.» Er faltete die Zeitung zusammen und stand auf. Küsste sie auf die Wange. Beatrix schloss einen Moment die Augen. Sein Duft ließ die Sehnsucht in ihr aufflammen. Wann hatten sie angefangen, einander zu quälen? Schon vor der Hochzeit hatte er sie betrogen, das wusste sie inzwischen. Doch er hatte sie auch verführt, und damals war ihr bewusst geworden, dass sie nur mit diesem Mann glücklich werden konnte. Ironischerweise war das ihr größtes Unglück.
«Ich habe nicht damit gerechnet, dich zu Hause anzutreffen.» Sie sank erschöpft auf das Sofa.
«Die Kinder sind im Bett, und ich lese daheim die Tageszeitung. Ich gebe zu, das ist nicht mein übliches Verhalten.» Sein Grinsen geriet etwas schief, so als sei er sich durchaus bewusst, wie wenig das zu ihm passte.
«Wie kommt’s?», fragte Beatrix. «Hat keine deiner Mätressen für dich Zeit?»
«Ich dachte … vielleicht werde ich hier gebraucht.»
«Das ist lieb von dir», sagte sie leise. Denn ja, sie brauchte ihn im Moment, und sei es nur, dass er einfach ein bisschen mehr für sie da war.
Sie hatte sich in die Ehe hineingefunden. Sie hatte ihren Platz. Es machte ihr natürlich etwas aus, dass er ihr nicht treu sein konnte, aber sie hatte inzwischen begriffen, dass er eben so war. Verbiegen konnte sie ihn nicht, denn wäre er ein anderer, hätte er sie damals nicht im Sturm erobert.
«Wenn ich sonst noch irgendwas tun kann …»
«Es reicht, dass du da bist», erklärte sie still.
«Daran wird sich nichts ändern.»
War das möglich? Würde der Skandal ihre Ehe retten?
«Komm, wir gehen ins Bett», sagte er in diesem Moment, und sie lächelte.
Er schaffte es, dass ihr wieder leicht ums Herz wurde. Sie war ihm dafür dankbar. Irgendwann, das wusste sie, würde er sie wieder verlassen, würde nachts nicht heimkommen und sie mit dem Problem alleine lassen, für die uneheliche Brut eine Familie zu finden. Aber bis es so weit war, gehörte er für eine kleine Weile nur ihr allein.
Und sie wollte dankbar sein für diese kleine Insel des Glücks, solange es sie gab.
[zur Inhaltsübersicht]
Kapitel 16
D er Nachmittag war kühl und windig, Wolken rasten über den blauen Himmel. Amelie packte einen Imbiss in den Rucksack und machte sich allein auf den Weg zum Strandhaus.
Sie ging ohne Dan, denn sie fürchtete sich ein bisschen vor ihrer eigenen Reaktion. Davor, was dieses Haus mit ihr machte, wenn sie über die Schwelle trat.
Sie war vor zwei Wochen hergekommen, weil sie ein Buch schreiben wollte.
Weitere Kostenlose Bücher