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Der vergessene Tempel

Der vergessene Tempel

Titel: Der vergessene Tempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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Krieg überlebt hatten. In Grants Fall fiel die Veränderung weder zum Besseren noch zum Schlechteren aus. Er hatte Narben – eine auf dem linken Unterarm, die sich vom Ellbogen bis fast zum Handgelenk hinabzog – und Falten um die Mundwinkel und Augen, die das Gesicht selbst jedoch nicht verändert hatten. Es war, als hätten die Jahre den jungen Mann auf dem Foto einfach schärfer konturiert, in gewisser Weise deutlicher gemacht. Trotz der Fesselung an den Tisch brachte er es fertig, sich lässig auf dem Stuhl zurückzulehnen und Muir mit einem spöttischen Lächeln zu begegnen.
    Muir schlug ein Notizbuch auf und begann vorzulesen. «Grant, C. S. Geboren Oktober 1917, County Durham. Schüler an der … kein maßgebliches Institut. Schulabschluss im Jahr 1934. Nach Südafrika ausgewandert, dann Rhodesien. Ausgedehnte Reisen im südlichen Afrika als Prospektor der Kimberley Diamond Company. Gerüchteweise Kontakt zu eingeborenen antibelgischen Elementen im Kongo. 1938 Rückkehr nach England, vom militärischen Geheimdienst angeworben, später versetzt in die Special Operation Executive . Aktiver Dienst in Griechenland, Nordafrika, auf dem Balkan und in der Sowjetunion. Im Juli 1944 Verleihung des Distinguished Service Order; ab Oktober 1944, nach einem Vorfall bei Impros auf Kreta, vermisst, Verdacht auf Fahnenflucht. In der Folgezeit Verwicklung in Schwarzmarktgeschäfte in London; später Gerüchten zufolge im östlichen Mittelmeerraum aktiv, als Waffenschmuggler für die sogenannte Demokratische Armee Griechenlands, den Irgun, die Haganah und andere Elemente im zionistischen Untergrund. Derzeitiger Aufenthalt unbekannt. Berichtige: Derzeitiger Aufenthalt: gefesselt an einen Tisch in einer miesen kleinen Zelle am Arsch der Welt, mit Aussicht auf eine verdammt lange Haftstrafe dafür, die Feinde des Empire mit Waffen beliefert zu haben.»
    Muir klappte das Notizbuch zu und ließ es auf den freien Stuhl fallen. Grant sah ihn ungerührt an, mit vor gespielter Ehrfurcht aufgerissenen Augen. «Sonst noch was?»
    Seine Stimme entsprach nicht Muirs Erwartungen. Ganz schwach ließen sich noch die derben Vokale eines Jungen aus dem englischen Norden erahnen, dazu kamen jedoch noch so viele Akzente und Einflüsse, dass sie sich unmöglich verorten ließ: ein wirklicher Bastard.
    «Nur noch, dass die Waffen, die Sie geschmuggelt haben, offenbar aus Geheimlagern geplündert wurden, die eigentlich für den griechischen Widerstand im Krieg bestimmt waren.»
    Grant zuckte die Achseln. «Niemand hat sie benutzt. Die Juden haben den Großteil der letzten zehn Jahre in die Mündungen von Gewehren schauen müssen. Da hielt ich es für das Mindeste, sie mit Waffen auszurüsten, damit sie zurückschießen können.»
    «Aber das sind unsere Waffen, verdammt nochmal. Und die schießen damit auf uns.»
    Wieder zuckte Grant die Achseln. «Uns? Ich dachte, ich gehöre dem Club nicht mehr an.»
    «Dann hielten Sie es also für eine angemessene Rache, unsere Waffen an unsere Feinde zu verkaufen?» Muir stieß verächtlich den Rauch durch die Nasenlöcher aus.
    «Es ging mir nur ums Geld.»
    «Das ist wohl der Vorteil, wenn man für Juden arbeitet.»
    Grant gab keine Antwort, blickte aber Muir über den Tisch unverwandt an.
    Muir klopfte mit einer neuen Zigarette auf seinem Elfenbeinetui herum. «Aber lassen wir das, es ist mir wirklich piepegal, was Sie derzeit so treiben. Ich bin hier, um mit Ihnen über Kreta zu reden. Und einen gewissen Mr.   John Pemberton.» Ein Streichholz flammte auf. «Sie kannten ihn.»
    «Tatsächlich?»
    Grant gab sich unbeteiligt, verzog keine Miene, aber Muir hatte schon genug Verhöre geführt, um die Fassade zu durchschauen.
    «Kreta – am Tag, als die Nazis kamen. Wir hatten Sie losgeschickt, um den König in der Umgebung von Knossos zu suchen. Stattdessen sind Sie auf Pemberton gestoßen. Sie waren der Letzte, der ihn lebend gesehen hat.»
    «Und der Erste, der ihn tot gesehen hat. Und?»
    «Ihrem Bericht zufolge hat er Ihnen vor seinem Tod noch sein Notizbuch ausgehändigt.»
    «Und?»
    Muir beugte sich über den Tisch. Die Glut seiner Zigarette befand sich nur wenige Zentimeter vor Grants Gesicht, und Rauch stieg ihm in die Augen. «Ich will wissen, was Sie damit gemacht haben.»
    «Ich habe es seiner Witwe ausgehändigt.»
    «Pemberton hat keine Witwe hinterlassen, Sie Armleuchter. Seine Frau ist vor ihm gestorben.»
    «Vielleicht war es auch seine Schwester.» Vom Rauch tränten Grant die Augen,

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