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Der vergessene Tempel

Der vergessene Tempel

Titel: Der vergessene Tempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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Kolonialherren sie wiederbelebt und das mittelalterliche Bollwerk mit Neuerungen ausgestattet, von denen sich die Erbauer noch nichts hatten träumen lassen. Stacheldraht verlief längs der gewaltigen Mauern, und die Bogenschützen in den Türmen waren durch Bren-Maschinengewehrposten ersetzt worden. Diese dienten allerdings nicht mehr der Abwehr von Feinden. Die Burg wurde jetzt als Gefängnis genutzt, und ihre starken Befestigungen schützten das Reich, indem sie Männer nicht am Eindringen, sondern am Entkommen hinderten.
    Der Wagen machte kurz vor Mitternacht vor dem Eingangstor halt. Ohne den Motor abzustellen, sprang der Fahrer hinaus und öffnete hastig die hintere Tür. Wenn er auf der langen Fahrt von Jerusalem eines gelernt hatte, dann, dass sein Fahrgast sehr ungeduldig war und keinerlei Verzögerung duldete.
    «Warten Sie hier», lautete die knappe Anweisung. «Es wird nicht lange dauern.»
    Ein Lichtstrahl huschte durch die Finsternis, und gleich darauf tauchte aus dem gewölbten Eingangstor ein blonder Mann in Offiziersuniform auf, der eine Taschenlampe in der Hand trug. «Lieutenant Cargill, Sir.»
    «Guten Abend.» Der Besucher stellte sich nicht vor und ergriff auch nicht die Hand, die ihm unsicher entgegengestreckt wurde, als wisse sie nicht recht, ob sie nicht besser salutieren sollte. «Haben Sie hier keinen Strom?»
    «Der Generator hat heute Nachmittag leider den Geist aufgegeben.» Cargill schien eifrig bemüht, einen guten Eindruck zu machen; er konnte noch nicht wissen, dass dies bei Muir ein nutzloses Unterfangen war. «Wie war Ihre Reise, Sir?»
    «Einfach hundsmiserabel.» Muir folgte Cargill durch den Torbogen in einen gewölbten Durchgang und dann in einen Innenhof, der jetzt eine Ansammlung von Nissenhütten beherbergte. «Waren Sie in letzter Zeit mal in Jerusalem? Unsere geschätzte Regierung hat den Stadtkern in eine Art KZ verwandelt und sich darin verschanzt. Alles ist mit Stacheldraht abgeriegelt. Und trotzdem können sie sich nicht gegen diese Scheißterroristen vom Irgun schützen.» Er schüttelte angewidert den Kopf. «Na, was soll’s. Unser Mann ist noch hier?»
    Ganz überrumpelt von dem plötzlichen Themenwechsel, fand Cargill erst mit Verzögerung seine Stimme wieder. «Ich habe ihn in Erwartung Ihrer Ankunft schon mal in die Verhörzelle bringen lassen. Leider wussten wir nicht genau, wann Sie kommen würden – er sitzt da jetzt schon seit einigen Stunden.»
    «Gut. Das dürfte ihn schon ein bisschen mürbe gemacht haben. Der Kerl ist zäh, ein ganz harter Hund, seiner Akte nach. Alle möglichen Heldentaten im Krieg. Wurde mit dem DSO für herausragende Dienste ausgezeichnet, und den bekam man nicht fürs Latrinenschaufeln.»
    «Tatsächlich?» Cargill klang verblüfft. «Nicht gerade die Sorte Mann, der man Waffenschmuggel für die Zionisten zutrauen sollte.»
    Muir gluckste. «Drei Monate nachdem man ihm den Orden an die Brust geheftet hatte, ist er verschwunden. Von der Fahne gegangen. Ein vielschichtiger Bursche, unser Mr.   Grant.»
    Sie kamen in der hinteren Ecke des Hofes an, bei einem alten Stall, der mit einem Wellblechdach und einer Tür aus Stahl versehen worden war. Cargill schloss auf.
    «Werden Sie Hilfe benötigen, Sir? Ich könnte ein paar Unteroffiziere holen …»
    «Nicht nötig. Warten Sie hier – für den Fall, dass es Ärger geben sollte. Sie sind bewaffnet?»
    Cargill tippte an sein Halfter.
    «Dann halten Sie sich bereit. Sollte einer durch diese Tür kommen, ohne vorher zweimal geklopft zu haben, erschießen Sie ihn.»
    «Halten Sie das wirklich für …» Cargill schien bestürzt.
    «Wie schon gesagt: Er ist ein vielschichtiger Bursche.»

    Die Stahltür fiel schwer hinter ihm ins Schloss, als Muir in die Zelle trat. Wie auch die übrige Festung war sie eine seltsame Mischung aus Alt und Neu: mittelalterliche Steinmauern, ergänzt durch ein Wellblechdach und einen hastig gegossenen Zementboden. Wie im Mittelalter wurde sie durch eine Flamme beleuchtet: in diesem Fall eine an einem Querbalken hängende Petroleumlampe. In der Mitte des Raums standen sich zwei Holzstühle an einem Stahltisch gegenüber, und dort saß, mit einer Handschelle am rechten Arm ans Tischbein gefesselt, Grant.
    Muir musterte ihn einen Augenblick lang. Das Foto in der Akte war knapp zehn Jahre alt, doch ob die verstrichene Zeit ihn mit Nachsicht behandelt hatte oder nicht, war kaum zu sagen. Natürlich war er gealtert – aber so ging es den meisten Männern, die den

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