Der vergessene Turm: Roman (German Edition)
mit seinem verletzten Bein ein. Halb blieb er stehen, halb kniete er. Wütend stöhnte er auf. Weit holte er aus. Die Schneide pfiff waagerecht durch die Luft. Dann warf er die Axt. Mit einen wilden Schrei ließ er den Griff los. Die sirrende Klinge wirbelte davon, ein gleißender Kreis aus gespiegeltem Licht, der heulend in der Dunkelheit verschwand. Worauf der Dwarg seinen Wurf gerichtet hatte, konnte Finn nicht erkennen. Und auch nicht, ob er etwas traf.
Die junge Schrifferin hustete und schrie heiser an Finns Seite. Sie begann wie wild an ihm zu zerren, rappelte sich dabei auf die Knie und zog ihn mit aller Kraft mit sich hoch. Fassungslos zeigte sie über seine Schulter. Er fuhr herum und erkannte jäh den Grund für ihren Schrecken.
Oh nein!, dachte er.
Das ist das Ende vom Lied.
Die Flammen hatten sie eingeschlossen.
Es gab weder eine Lücke noch eine niedrige Bresche, über die sie hätten springen können. Ein Brausen umtobte sie wie bei einem Sturm. Die Luft bebte, klebte und war kochend heiß. Stechend fuhr sie in ihre Lungen. Es knisterte und prasselte, als ob ein Sturzregen auf sie herniederginge. Aber alles, was fiel, waren dicke Flocken öliger Asche.
Glimfáin war nicht mehr zu sehen.
Die beiden Vahits standen allein auf einer Insel – inmitten eines Meeres aus feuerrot wogendem Wiesengras, dessen Wellen schon jetzt höher zusammenschlugen als ihre Köpfe reichten. Gleichsam ausgesetzt auf einem Eiland, dessen Rand rasend schnell schrumpfte. Ginster knackte und verging zischend, während die Feuerzungen leckten und sich unbarmherzig näher fraßen. Dahinter brannte und brodelte die Auwiese und stöhnte heulend wie ein angstgepeinigtes, waidwundes Tier.
Tallia starrte Finn völlig entsetzt und hilflos an.
Ihre Lippen bebten. Ob sie etwas sagte? Was es auch war, es ging in dem Krachen und Prasseln der Flammen unter. Ihre Haare waren dunkel, ihr Gesicht geschwärzt von den Ascheflocken, die weiter auf sie herabfielen wie giftiger schwarzer Schnee.
Eine einzelne Träne rann ihr die Wange hinunter und zeichnete eine hellere Spur in das Geschmier hinein. Er nahm sie in die Arme und küsste die Träne fort. Sie klammerte sich zitternd an ihn, hieltihn fest wie eine Ertrinkende. Beide sanken sie gleichzeitig, Wange an Wange, herab auf die Knie.
Während er sie hielt, weinte auch er. Eine dichte, stinkende Wolke hüllte sie ein und nahm ihnen den Atem.
ENDE DES ERSTEN BUCHES
Der Weg Finn Fokklins und seiner Begleiter wird fortgesetzt in:
DER VERLORENE BRIEF
ANHANG
DER KOLRYNISCHE KALENDER
Alle zwölf Monate des Jahres kannten 29 reguläre Tage, wobei nach jeweils zwei Wochen ein sogenannter »Mittmonatstag« eingeschoben wurde. Dieser Tag war kein offizieller Feiertag, aber er stand auch nicht im Zeichen der Arbeit, sondern war der Besinnung und der Familie vorbehalten.
(Zwischenrechnung: 12 × 29 Tage = 348 Tage.)
Um auf 365 Tage zu kommen, wurden zwischen die Monate, über das Jahr verteilt, insgesamt 17 Feiertage eingeschoben, die kein eigenes Datum besaßen.
Alle vier Jahre wurde noch ein zusätzlicher Tag – Galika, die Ausgleichende – verwendet, um den Kalender im Gleichmaß zu halten.
Jeder Monat eines jeden Jahres begann durch diese Zählweise mit einem Montag und endete mit einem Sonntag.
Diese Art der Kalenderführung brachte es mit sich, dass jeder schon an der Datumszahl (z. B. am 24.) in jedem Monat eines jeden Jahres ablesen konnte, um welchen Wochentag es sich dabei handelte: Der 24. musste ein Dienstag sein, da Dienstage nur auf den 2., den 9., den 17. und den 24. fallen konnten , andere Tage aber nicht.
Die einzelnen Wochentage sind, zur besseren Orientierung der Leser, von mir in der Übersetzung nach unseren Namen dafür benannt worden; die Völker Kolryns kannten diese Bezeichnungen natürlich nicht.
Ebenso wenig kannten sie freie Samstage – an ihnen wurde durchgearbeitet. Frei von Arbeit und amtlichen Verpflichtungen waren allein der Sonntag – Gindáha –, die 17 Feiertage und die 12 Mittmonatstage, wobei die Sonntage traditionell gern für Familienfeste genutzt wurden. Die 17 Feiertage dagegen standen ganz im Zeichen spiritueller Glaubensrichtungen, Traditionen und Überzeugungen, die regional unterschiedlich begangen wurden. Der Kalender selbst geht auf Denedhur zurück, den 4. Tener des Reiches Benutcane.
MÜNZEN UND MASSE IM HÜGGELLAND
DIE MÜNZEN
Der Scattmáhir verwaltete den Münzumlauf und hütete den Hüggellandschatz im Keller
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