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Der vergessene Turm: Roman (German Edition)

Der vergessene Turm: Roman (German Edition)

Titel: Der vergessene Turm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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nicht mehr als ein Hauch von Worten und so leise, dass er es kaum verstand, »lauf zum Brunnen. Ganz gleich, was ich mache,achte nicht darauf. Lauf zum Brunnen. Klettere in den Eimer, und lass dich mit ihm nach unten fallen. Vertrau mir. Das Seil wird deinen Sturz abbremsen. Halt dich nur gut fest. Du musst in den Brunnen. Ich …«
    Weiter kam der junge Hüter nicht. Die Gidrogs rissen die drei Vahits hoch und stellten sie unsanft auf die Beine.
    Mit einem verständnislosen Blick starrte Finn seinen Freund an, und Mellow formte mit den Lippen noch einmal das Wort Brunnen . Dann wurden sie gepackt und zurück vor den Thron geschleift.
    Banavred wimmerte leise und vermochte nicht, sich auf den Beinen zu halten; er sackte zu Füßen des Schwarzen zusammen und stammelte wirres Zeug. Niemand beachtete ihn.
    Saisárasar hielt noch immer den grauen Pfeil auf seinen Knien.
    Er saß vorgebeugt da und betrachtete das Geschoss. Er drehte es hin und her, als könne er so hinter sein Geheimnis kommen. Ob es an Saisárasar selbst lag oder eine Folge seiner schwarzen, abgetragenen Kleidung war, vermochte Finn auch später nicht zu sagen; aber jetzt, da die dunklen Hände den Pfeil drehten und wendeten, kam Finn der Pfeil mit einem Mal sonderbarer vor als alles, was er je zuvor gesehen hatte.
    Sicher, es war nur ein Stück Holz: mit Federn an dem einen und einer geschmiedeten Spitze an dem anderen Ende. Und doch   – auf eine seltsame, nicht mit Worten fassbare Weise war dieser Pfeil schön . Auch die angetrockneten Blutflecken vermochten nicht, diesen Eindruck zu mindern. Seine Länge, seine Stärke, dass er vollkommen gerade war, die graue Farbe, die wie die Luft selber wirkte und mit allem zu verschmelzen schien: sei es mit klarem Wasser, dem Grün der Wälder oder dem Wechselspiel von Blau und Wolken am Himmel. Dazu trat das Rot der einen, das hellere Grau der beiden anderen Federn. Die drei langen, mit feinsten Linien verzierten Blattformen der metallenen Spitze, ihre sanft geschwungenen Ränder kündeten von höchster Handwerkskunst. Der Pfeilschuh, der den Schaft aufnahm und dabei kaum merklich auftrug, war so unsagbar dünn gefertigt, als seien Holz und Metallaneinander verwachsen. Alles dies ergab in Finns Augen eine Reinheit der Form, ein Ebenmaß an Vollständigkeit, eine schillernde Schönheit, dass Finn darüber schier vergaß, was er da betrachtete: Ein Ding, das einzig zu dem Zweck geschaffen war, den lautlos eilenden, raschen, unentrinnbaren Tod zu bringen. Und dennoch war es so   – Finn bereitete es einen beinahe körperlichen Schmerz, dieses meisterhaft gestaltete Werk in den grobschlächtigen Händen Saisárasars zu sehen, der es betatschte , es mit dem Dreck unter seinen Fingernägeln besudelte , ohne zu begreifen, welche hohe Kunstfertigkeit er dabei berührte.
    Unter den langen Haaren, die Saisárasar ins Gesicht gefallen waren, richtete er seinen kalten, scharfen Blick nun auf Mellow. Fast beiläufig deutete er mit dem Pfeil zu Banavreds zusammengekrümmtem Rücken hinunter.
    »Du hast gesehen, wie ich Unverschämtheit bestrafe«, sagte er. »Dasselbe gilt für Lügen, Verschweigen der Wahrheit oder selbst ein Zögern mit der Antwort. Wer bist du?«
    Mellow holte tief Luft und nannte seinen Namen.
    »Mellow Rohrsang«, wiederholte Saisárasar, und etwas wie Belustigung huschte über sein schwärzliches Gesicht. »So albern wie ihr selbst, so albern sind eure Namen.« Der Pfeil wippte in Finns Richtung. »Wer ist er?«
    Mellow nannte auch Finns Namen.
    »Finn Fokklin also.« Saisárasar warf die langen Haare zurück und entblößte seine Zähne. »Eure Eltern müssen euch wahrlich hassen, wenn sie euch derart törichte Namen geben. Jener klingt ebenso dümmlich wie der deine. Ihr seid gleichfalls Vahits und kommt aus dem Hüggelland, wie ihr es nennt?«
    »Ja.«
    »Was wolltet ihr hier?«
    »Sachen für Herrn Banavred bringen. Sie liegen auf dem Wagen und …«
    »Nutzloses Zeug!«, unterbrach ihn der Mensch. »Einiges davon mag vielleicht gut brennen. Was will der Alte damit?«
    »Es sind Sachen zum Schreiben, Herr.«
    »Ihr seid wirklich albernes Volk! Vertrödelt eure Zeit mit sinnlosem Tun.« Er zeigte mit der Pfeilspitze auf Finn. »Wie groß ist euer Volk?«
    »Ich weiß es nicht genau«, antwortete Finn schnell. »Aber bei der letzten Wahl vor vier Jahren zählten wir zweitausendfünfhundertundfünfundachtzig Vahits.«
    »So wenige? Und was heißt das: bei der letzten Wahl?«
    »Wir wählen alle

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