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Der vergessene Turm: Roman (German Edition)

Der vergessene Turm: Roman (German Edition)

Titel: Der vergessene Turm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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Vorstellung ersparen. Und stattdessen gleich beginnen. Sieh gut hin und lerne, Mellow Rohrsang. Das, was du sogleich erlebst, wirst du nie mehr vergessen! Öffnet den Käfig!«
    Gidrogfäuste zerrten das Mädchen an ihrem Schopf nach draußen.

    Finn sah, wie hinter Mellows zerfurchter Stirn die Gedanken förmlich jagten. Woraus auch immer das Vorhaben seines Freundes bestanden haben mochte   – das zehnjährige Vahitmädchen war gewiss nicht darin vorgekommen.
    Finn blinzelte; er wischte sich den plötzlichen, kalten Schweiß aus den Augen. Bis eben war ihm ihre Lage als fast erdrückend erschienen, aber eben nur als fast; als finsterste Nacht, durch die sie tapsten, doch immer noch mit einem vagen, dünnen Hoffnungsschimmer versehen. Nun entschwand mit Gatabaids jähem Anblick alles Licht, und er spürte zum ersten Mal in seinem Leben eine vollständige, alles umfassende Aussichtslosigkeit, die ihn durchdrang wie ein Zapfen aus Eis, der sich ihm in die Eingeweide bohrte. Er stöhnte auf.
    So viel also zu Mellows zweitem, ach so guten Plan, dachte Finn entsetzt; auch dieser war geplatzt wie der erste, wie Seifenblasen, die an Disteldornen gerieten.
    Wieder überkam ihn eine seltsame Klarheit wie vorhin auf der Treppe: An dem Gidrog, der mit seinen breiten Schultern unter dem Torbogen zum Innenhof Posten bezogen hatte und ihn ausfüllte wie ein lebender Klotz, kamen sie nicht vorbei. Sich auf einen Kampf mit ihm oder mit den beiden anderen einzulassen, war selbstmörderisch; und gegen Saisárasar zu kämpfen, daran wagte Finn nicht einmal zu denken. Doch was blieb ihnen noch übrig?
    Der innere Hof des Acaeras Alamdil war rundum mit hohen Mauern aus Caeraban versehen, und es gab sowohl Treppen auf die äußeren Wehrgänge wie auch Aufgänge in den Mauerecktürmen. Hinter den Zinnen fielen die Wände lotrecht ab und auf den steilen Felssockel hinunter, auf dem sie errichtet worden waren. Bis zu den Wassern des Wirrelbaches schließlich, aus denen sich der Sockel erhob, war es noch einmal halb so tief wie der Alte Turm hoch war; niemand würde einen solchen Sprung überleben. Die innere Mauer, die den Bereich der Vorburg vom eigentlichen Turm trennte, war weniger hoch, doch es führten keine Stufen hinauf. Und in welches der umliegenden Häuser sie auch fliehen mochten,ein jedes lag innerhalb der Mauern; ganz abgesehen davon, dass ihre Flucht, kaum begonnen, schon beendet wäre, sobald sie unter einem der Dächer ankämen.
    Der ehrwürdige Acaeras selbst hätte Finn noch am ehesten als Ziel einer Flucht eingeleuchtet, wenn man es denn so nennen konnte. Vielleicht, dachte er, wäre es möglich, sich irgendwie in einem der höheren Räume zu verbarrikadieren und so den Tod ein wenig hinauszuzögern. Vielleicht würden sie bis ganz oben fliehen müssen, bis in Banavreds Turmzimmer, doch was dann? Was, außer verrinnender Zeit, wäre damit gewonnen?
    In das Innere des Brunnens zu fliehen, erschien Finn dennoch als die dümmste von allen denkbaren Möglichkeiten. Es genügte, einen Gidrog an seinem Rand aufzustellen, und sie wären auf ewig im Brunnen gefangen. Immerhin, dachte er, würden sie Wasser haben; vielleicht war gerade das Mellows letzte Hoffnung. Im Grunde aber wäre es so, als würden sie sich im Turm verbarrikadieren: Sie wären eingeschlossen und ohne jede Aussicht, ihren Feinden zu entkommen.
    Dann lieber gleich sterben?
    War es das, was ihnen blieb?
    Finn spürte Wut und Trotz in sich aufsteigen und die Gewissheit, er würde selbst den unsinnigsten Ausweg versuchen, ehe er tatenlos aufgab. Nicht versuchen , schossen ihm Mellows Worte durch den Kopf, sonst wirst du scheitern. Tu es einfach.
    Also schön, dachte er. Widmen wir uns dem Tun.
    Wie weit es wohl bis zum Ziehbrunnen war? Heimlich bemühte er sich, über Gatabaids Käfig und ihren jämmerlichen Anblick hinwegzuspähen.
    Denk nach, ermahnte er sich. Sieh gut hin und lerne! Also gut: Er würde die kleine Anhöhe hinunterlaufen müssen, das waren fünf oder sechs Sprünge. Dann an dem knisternden Aschenhaufen vorbei   – zwölf, vielleicht auch fünfzehn Sprünge. Zu dem Ahorn, der seinen Schatten auf das Brunnendach warf, und dann unter seinem Geäst hindurch: noch einmal zehn, zwölf Sprünge. Dannam Steintrog vorbei: höchstens zehn. Auf den Brunnenrand hinaufschwingen; ein letzter Sprung in den hölzernen Eimer, der über der Brunnenöffnung an der Kurbel hing, kaum sichtbar unter dem langen Seil, das jetzt darum herumgewickelt war. Und dann

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