Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der vergessene Turm: Roman (German Edition)

Der vergessene Turm: Roman (German Edition)

Titel: Der vergessene Turm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
Vom Netzwerk:
würde es rasend schnell abwärtsgehen, hinein in eine bodenlose, feuchte Dunkelheit.
    Allein die Vorstellung gruselte Finn. An das, was dann kam, wagte Finn nicht mehr zu denken. Lass es uns erst einmal bis dahin schaffen, sagte er sich.
    Über vierzig weite Sprünge würde er rennen müssen, dies noch dazu schneller als je zuvor in seinem Leben. Vierzig Mal mit dem Wissen leben, vielleicht schon im nächsten Augenblick von einem Schwertstreich niedergestreckt zu werden. Vierzig Herzschläge lang einen Wettlauf gegen Verfolgerbeine gewinnen, von denen jedes einzelne im Umfang so stark war wie ein ausgewachsener Vahit, und auch bedeutend länger. Und alles, um sich zu guter Letzt in einen Brunnenschacht zu stürzen   … Mellow musste verrückt geworden sein. Oder nicht?
    »Halt sie fest!«, drang Saisárasars Stimme wieder an sein Ohr.
    Tuluk nahm das Mädchen zwischen seine Fäuste und sah seinen Herrn abwartend an.
    »Hinüber zum Feuer.« Saisárasar deutete zu dem Aschenhaufen.
    Udrak, ihr verbliebener Bewacher, grollte tief in seiner schuppigen Kehle. Seine Fangzähne bleckten. Er trieb die Vahits mit der Dornspitze seines Schwertes an. Als Saisárasar sich erhob, gingen sie alle die Anhöhe hinunter und versammelten sich unweit des von den Flammen ausgebleichten Criargkopfes.
    Saisárasar warf sein Schwert achtlos ins Gras und nahm Mellows Landhüterstab in beide Hände. Mit der Eisenspitze spießte er ein kieselgroßes Aschestück auf, in dessen Innerem es noch rötlich schimmerte. Er blies hinein. Funken flogen davon; eine Flamme züngelte auf, und die Glut wurde heller   – und heißer. Finn sah, wie Gatabaid neben Saisárasar zitterte.
    »Es ist verblüffend, welche Wirkung ein so kleines Kohlenstück haben kann«, sagte Saisárasar. »Zum Beispiel vermag es Haare im Nu zu verbrennen!« Der Stab mit der glühenden Holzkohle an der Spitze zuckte nach vorn. Es zischte. Der Gestank verbrannter Haare stieg in ihre Nasen, und Gatabaid schrie gellend, denn die Glut hatte auch ihre Wange und einen Teil ihres Ohres gestreift.
    »Hör damit auf!«, schrie Mellow. »Was hat sie dir getan? Ich habe gelogen, ja. Bestrafe mich, und nicht sie!«
    Saisárasar wandte sich um und lächelte sein Eiseslächeln. »Aber, hast du denn nicht verstanden? Dies ist deine Strafe.«
    Er hob den Stab und blies erneut in die aufflammende Glut. »Es ist so bedauerlich, wenn Kinder für die Fehler der Erwachsenen leiden müssen, nicht wahr?«
    Und wieder senkte er den Stab, diesmal auf Gatabaids Oberarm. Beißender Qualm stieg auf; ihr Kleid verschmorte unter der glimmenden Kohle. Der Schrei, den das Mädchen jetzt von sich gab, war nicht mehr der eines Vahitkindes, sondern der eines völlig verzweifelten und in die Enge getriebenen Tieres. Seine Lautstärke, die in den Ohren schmerzte, überraschte wohl selbst Tuluk; oder es war das unerwartet heftige Strampeln, mit dem das junge Mädchen sich der Qual zu entwinden suchte. Das Kind rutschte ihm jedenfalls aus den Klauen und stürzte zu Boden. Das war der Augenblick, in dem Mellow sich in Bewegung setzte.
    Er riss Saisárasar den Landhüterstab aus der Hand, schwang ihn herum und stieß ihn, mit dem glühenden Kohlebrocken voran, dem Dumklen ins Gesicht. Saisárasar taumelte aufbrüllend zurück und stolperte über sein am Boden liegendes Schwert. Beide Hände ans Gesicht gepresst, verlor er das Gleichgewicht und fiel auf den Rücken. Tuluk wollte seinem Herrn zu Hilfe eilen und versuchte, Mellow in den Arm zu fallen. Doch der unterlief ihn, packte den Stab und stach mit der Eisenspitze in die Kniekehle des Gidrogs. Eine Sekunde später rannte Mellow quer über den Aschenhaufen, eine Wolke von Staub und aufwirbelnder Glut nach sich ziehend. Udrak setzte ihm nach, als er Tuluk fallen sah.
    Wenn du mich rennen siehst, lauf zum Brunnen.
    Finn sah dies alles, und es erstaunte ihn, wie langsam sich das Geschehen für ihn vollzog. Noch während Mellow Saisárasar den Stab entriss, machte Finn einen Schritt vorwärts, auf Tuluk zu. Er streckte die Arme aus und fing kurz vor dem Boden Gatabaid auf. Er wunderte sich, wie gemächlich sie fiel, fast wie ein abgerissenes Blatt, oder wie eine Flaumfeder, die zu Boden sank. Er schien alle Zeit der Welt zu haben, sie sicher zu greifen, Tuluks Beinen auszuweichen und über Udraks erhobene Füße hinwegzuspringen. Das Mädchen eng an sich gepresst, rannte er los.
    Es sind nicht mehr ganz vierzig Sprünge, sagte er sich dabei und wunderte sich

Weitere Kostenlose Bücher