Der vergessene Turm: Roman (German Edition)
eingefassten Rasen hinaus, einen gepflegten Innengarten, der jenseits des Torwegs begann und den Raum zwischen den Gebäuden der Bücherey erfüllte. Unterhalb der Fenster trennten Sträucherreihen den Rasen von den Häusern. Eine große, einzelne Linde beherrschte die freie Fläche; herbstlich golden leuchteten ihre Blätter im frühen Abend, und fast die Hälfte des Rasens lag in ihrem Schatten. Unter ihren fast waagerecht gewachsenen Zweigen hieß Tuom sie warten.
Hier standen Bänke, auf die sie sich setzten. Er selbst schlurfte geradeaus weiter zum rückwärtigen Haus, stieg einige Stufen hinauf und verschwand unter einem Bogengang, der sich über hölzernen Pfeilern längs der gesamten Vorderseite erstreckte.
Das Buoggahaus, der eigentliche Aufbewahrungsort aller Bücher, befand sich hinter ihnen in dem Gebäude, durch das der Torweg führte und das mit vielen schmalen Fenstern zum Marktplatz schaute; es war zweistöckig angelegt und das größte Haus auf dem hundert Klafter weiten Gelände. Der Lesesaal befand sich im ersten Stock unmittelbar über dem Torweg.
Der Gebäudeflügel zu ihrer Linken enthielt, wie Finn wusste, die Colpia mit ihren langen Tischen, auf denen die Colpianten entstanden; und etwas abseits davon gab es viele einzelne, kleine Schreibkammern für die Schriffer. Im rechten Flügel unterhielt die Gilde das Gästehaus, die Küche und den Speisesaal der Bücherey. Dem Buoggahaus gegenüber und am weitesten vom Marktplatz und seinem Lärm entfernt stand das Máhirhaus. Hier hatten die führenden Buogga (allen voran der Alam Buoggir, der Staubner und natürlich der Witamáhir) ihre Arbeitszimmer, und im Máhirhaus wurde auch in den unteren Räumen, der sogenannten Gwaendia, der Unterricht abgehalten. Auch dieses Gebäude war zweistöckig angelegt: Im oberen Stockwerk hatten die Kundigen, die Cuorderin der Bücherey, ihre Wohnräume. Alle dem Innengarten zugewandten Gebäudeseiten besaßen hölzerne Bogengänge, die es gestatteten, trockenen Fußes von einem Haus ins andere zu wechseln. Die Bücherey – nein, alle drei Büchereyen, verbesserte sich Finn in Gedanken – waren Orte, in und an denen ausnahmslos der rechte Winkel vorherrschte: Während die Vahits in ihren Siedlungen gern Rundhäusern den Vorzug gaben, suchte man derlei hier vergeblich.
Vor dem Máhirhaus plätscherte ein Brunnen im letzten Sonnenlicht hinter der prächtigen Linde; und für den Moment genossen die drei den Frieden, der vom Flüstern des Wassers ausging und über allem lag.
»Dies ist ein Ort des Wissens, zweifellos«, sagte Circendil, nachdem er sich umgeschaut hatte. »Es erinnert mich ein wenig an unser Kloster, obwohl alles dort natürlich gänzlich anders aussieht. Es ist eher die Ehrwürdigkeit, die mir bekannt vorkommen will. Beide, das Kloster zu Daven wie auch eure Bücherey, sind etwa gleichen Alters, und das mag mein Gefühl erklären.«
»Hoffentlich beeilt sich Tuom«, meinte Mellow unruhig. »Ichmüsste längst drüben in Landhüterhaus sein und Herrn Gesslo Meldung machen. Ich bin länger fortgeblieben, als ich sollte; und er wird wissen wollen, was geschehen ist.«
»Ich hoffe indes, ich habe nicht zu dick aufgetragen mit dem Boten des Königs«, sagte Finn. »Mir fiel nur nichts Besseres ein, um Tuom Beine zu machen.«
Circendil lächelte. »Es ist nicht ganz richtig, was du sagtest, aber auch nicht völlig falsch«, erklärte der Mönch. »Du lagst gar nicht mal so weit daneben. Tatsächlich ist unser Orden nur dem König Vindlands verpflichtet, und es geschieht immer wieder, dass ein Davenamedhir in seinem Namen ausgesandt wird und für ihn spricht. In diesem Sinne sind wir Botschafter König Nòrbosors, auch wenn wir keinen gezielten Auftrag erhalten haben.«
Er brach ab, denn jetzt erschien Tuom wieder unter der Linde. »Ihr habt seltsames Glück«, berichtete er etwas atemlos. »Ich soll euch zu ihm bringen. Sogleich, hat er gesagt, als wären meine alten Beine heute nicht schon genug gerannt.«
Er ging ins Máhirhaus voran und führte sie über eine Treppe nach oben. Am hinteren Ende eines langen Ganges öffnete er eine von vielen Türen und ließ ihnen den Vortritt.
Ein älterer Vahit saß an einem Schreibtisch und erhob sich, als sie hereinkamen. Schlohweißes Haar leuchtete auf einem rundlichen Kopf; aber die grauen Augen strahlten noch heller, und seine Bewegungen wirkten rüstig und noch lange nicht vom Alter geschwächt, obwohl er zwanzig Jahre älter als Finns Vater Furgo
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