Der vergessene Turm: Roman (German Edition)
sich für diese Dinge einsetzten, mal mehr, mal weniger.
Und um der Wahrheit die Ehre zu geben – dieser Tage bin ich der einzige in unseren Reihen, der dieser alten Suche noch nachgeht. Und das beinahe gegen den Willen unseres Aldamáhir, dem Abt des Klosters. Nur widerstrebend ließ er mich ziehen. Er wusste, ich würde ihm wenig Ruhe lassen, hielte er mich zurück. Du siehst, Herr Mellow: Beim Vergessen wollen es viele belassen, ganz so wie du. Und genau hier liegt die wahre Gefahr.«
Der Mönch hob den Blick zum Himmel, und es war, als spräche er zu Aman selbst, als er beinahe flüsternd sagte:
»Denn das ist das Schlimmste: Wenn es mir nicht gelingt, diesen Fehler zu finden, und zu verstehen, was es damit auf sich hat, dann wird es nach mir wohl nicht einmal mehr jemand auch nur versuchen! Dann wird eines Tages alles, was in dieser Welt noch schön ist, edel und rein und liebevoll, ganz gleich wo in Kringerde, vergehen! Entsetzen wird an seine Stelle treten! Furcht wird der Atem sein, den ein jeder trinkt! Hoffnungslosigkeit das, was statt der Ruhe die Nacht erfüllt! Finsternis wird in die Herzen kriechen und sie von innen heraus zersetzen wie Säure, die am Stein leckt! Friede wird ein Fremdwort sein! Freiheit? Ein Gerücht. Die Tränen? Eine allgegenwärtige Gefahr! Und ihre Träger? Voller Hass, immerzu neuen Hass gebärend! Und wehe denen, die dann noch leben! Ihr Los wird Folter heißen. Und wo nicht dies, Sklaverei. Mit Schmerz als ständigem Unterpfand! Wehe um Kringerde! Möge Aman nur dies verhüten!«
Circendil hielt atemlos inne.
Die beiden Vahits starrten ihn verstört und verständnislos an. Der Mönch sah in ihre bestürzten Gesichter und seufzte betrübt.
»Entschuldigt, meine Freunde. Ich wollte euch nicht ängstigen. Vergebt einem einsamen Wanderer. Ich sprach Gedanken aus, die gediehen sind in zu langen und zu kalten Nächten in der Wildnis, fern der Heimat und fern von denen, die wissen, wonach ich trachte. Es sind Gedanken, die ins Kraut schießen aus der Furcht, nicht zu finden, was allein womöglich Rettung bringen mag. Verzeiht.«
Finn schüttelte sich, als führe ihm ein eiskalter Wind in den Kragen.
»Ich würde lügen, wenn ich sage, ich habe verstanden, worüber du sprachst. Aber ich erkenne, hinter deiner Reise verbirgt sich mehr als nur der Wunsch zu entdecken, wo sich die Vahits in all den Jahren versteckt gehalten haben. Was soll das für ein Fehler sein, wenn ich das fragen darf? Und wie können wir dir helfen?«
Circendil blickte lange vor sich hin. Dann sah er nickend auf Finn herab, der rechts neben ihm auf Smods Rücken dahinritt, und legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Ja«, sagte er. »Du darfst fragen, und du wirst eine Antwort erhalten. Aber noch nicht jetzt, denn diese Antwort muss lang ausfallen, wenn sie richtig verstanden werden soll. Und jetzt ist dafür weder die Zeit noch der Ort. Und helfen? Ja, helfen kannst du mir, und auch du, Mellow, denn eben darum ersuche ich euch beide! Verschafft mir ein Ohr bei eurem Witamáhir, oder besser deren zwei. Ich werde die Dienste eurer besten Schriftgelehrten in Anspruch nehmen müssen, und ohne eure Fürsprache weiß ich nicht, ob man meiner Bitte überhaupt zuhört. Geschweige denn ihr entspricht. Dafür will ich euch helfen, das Hüggelland zu verteidigen, so ein einzelner Mann überhaupt mehr tun kann als seinen Rat anzubieten.«
Mellow, der aufmerksam den See zu seiner Linken und zwei dort wassernde Schwäne gemustert hatte, drehte sich im Sattel zu Circendil und sagte: »Herr Gesslo, unser Gauvogt, hat uns Landhütern eines als Erstes beigebracht: Seht immer auf die Taten und nicht auf die Worte eines Mannes. Nach dieser Lesart hast du dich gestern als unser aller Freund erwiesen. Und darum verspreche ich dir, ich werde dafür sorgen, dass du in der Bücherey freundlich und freundschaftlich behandelt wirst.«
»Und ich werde dir bei der Suche nach den Büchern helfen«, erklärte Finn.
Circendil blickte von einem zum anderen und schüttelte den Kopf. »Als wir einander gestern begegneten, sagte ich, ich suche die Gastfreundschaft der Vahatin. Ich hätte nicht zu hoffen gewagt, dabei zugleich auch die Freundschaft zweier Vahits zu finden. Besonders nicht«, dabei knuffte er Mellow in den Arm, »ausgerechnet zweier solcher Waldkrakeeler, wie ihr es seid.«
»Waldkrakeeler!«, rief Mellow empört und warf die Arme in die Höhe. »Also wirklich!« Vanku schreckte überrascht aus eigenen Gedanken auf. Das
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