Der vergessene Turm: Roman (German Edition)
ja. Langwierig, langweilig, langatmig – und völlig überflüssig noch dazu. Der beste Grund zum Schlafen, den es gibt.«
Sie kuschelte sich ins Gras und blinzelte zurück. Minuten später war sie eingeschlummert und hörte die Stimmen der Vahits und des Menschen nur noch als Begleitmusik zum leisen Plätschern des Quells.
»Wenn ich vorhin alles richtig verstanden habe«, begann der Mönch, »dann seid ihr vor diesem Menschen und seinen Gidrogs geflohen. Offenbar gibt es Feindschaft zwischen euch und ihnen. Worum geht es dabei?«
»Das«, antwortete Mellow, »können wir nur vermuten. Vor etwas mehr als einem Tag nahmen sie uns gefangen. Einen weiteren Vahit und seine Frau, die wir besuchen wollten, haben sie getötet. Schon vor Tagen haben sie Gatabaid im Wald aufgegriffen, und niemand weiß, welches Schicksal sie und wir erlitten hätten, wenn es uns nicht gelungen wäre, zu entkommen. Wir hatten ganz und gar ungeheures Glück – und fanden einen unterirdischen Weg aus der Festung heraus.«
»Unterirdisch, sagst du?«
»Ein geheimer Gang, der in einem Brunnen begann und der uns, wie Ihr vorhin ganz richtig vermutetet, unter dem Wirrelbach bis ans andere Ufer geführt hat.«
»So ist zumindest dieses Rätsel keines mehr. Wie viele Köpfe zählen eure Feinde?«
»Banavred sprach von sechs Gidrogs.«
»Banavred?«, hakte Circendil ein. »Ist das einer der beiden, die getötet wurden?«
»Ja«, sagte Finn. »Ein guter, alter Vahit, wie man sich keinen Besseren wünschen kann. Und da wir gerade von Köpfen sprechen: Zu den sechs Gidrogs kommt nämlich noch Saisárasar, der Mensch, der sie anführt und der gern gegen Vahitköpfe tritt. Im Ganzen also sieben. Was ein schlechter Witz ist, wenn man es recht bedenkt. Die Sieben ist uns Vahits nämlich heilig. Am besten wird sein, wir erzählen Euch die ganze Geschichte. «
Darüber verging die nächste halbe Stunde.
Am Ende hatte der Davenamönch einen nahezu vollständigen Bericht erhalten, angefangen von dem verspäteten Brief bis zu dem Moment, da er die Vahits im Wald überrascht hatte.
»Ihr hattet wirklich großes Glück«, sagte er. »Und ich bin mehr als froh, euch getroffen zu haben. Wenn ihr mir vertrauen könnt,dann lasst uns vorerst zusammenbleiben. Mein Ziel ist, wie ihr wisst, das Hüggelland, und ihr wollt ebenfalls dorthin. Ich denke, ich kann euch auf diesem Weg noch weitaus nützlicher sein als bisher. Lasst uns daher über die Lage sprechen, in der wir uns befinden.«
Er deutete nach Osten, in Richtung der Wirrelbachbrücke.
»Um ins Hüggelland zu gelangen, gibt es scheinbar nur zwei Möglichkeiten. Entweder über die alte Brücke oder durch die reißenden Wasser. Leider scheidet die zweite sofort aus, wie ihr sehen werdet. Wir können weder am Nordufer nach Westen gehen und dort den Wirrelbach queren noch irgendwo weiter östlich hinüberwechseln. Je weiter wir flussaufwärts gehen, desto steiler steigt das Ufer an, bis es gänzlich unpassierbar wird. Ihr habt die Klippen gesehen. Schwestern von ihr säumten schon nach kurzer Zeit das Ufer. Die Berghänge dahinter sind völlig unzugänglich.
Die einstigen Herren dieses Landes haben ihre Festung und die Brücke deshalb überaus geschickt angelegt. Die alten Baumeister haben sie an der westlichsten Stelle über den Fluss gespannt, wo dies überhaupt möglich war. Und wer immer die Festung hält, hat die Kontrolle über Brücke und Straße. Weiter flussabwärts wird der Wirrelbach zwar breiter, aber seine östlichen Strudel und Stromschnellen sind unberechenbar. Sie lassen ein Durchschwimmen nicht zu. Die Strömung ist überall tückisch. Selbst ich würde es nicht wagen, ins Wasser zu gehen, solange ich nicht völlig verzweifelt wäre.
Das ist im Übrigen der Grund, warum wir uns heute morgen begegneten. Ich wanderte eben deshalb auf dieser Seite in Richtung seiner Quelle, um zu sehen, ob es weiter oben einen Weg gäbe, die Brücke zu vermeiden. Nun, ihr wisst es schon: Es gibt keinen. Deshalb stand ich da und überlegte, was ich tun könnte. Die Benutcaerdirin nutzten wahrlich alle Gegebenheiten des Geländes zu ihrem Vorteil. Wer ins Hinterland will, ist auf die Brücke angewiesen. Oder er muss außerhalb des Hüggellandes bleiben. Das ist die eine schlechte Nachricht. Es gibt eine weitere: Die Brücke wird seitdem frühen Morgen bewacht. Und eindeutig nicht von Vahatin, was mich misstrauisch machte. Ein weiteres Rätsel, das sich nunmehr löst. «
»Bewacht, sagt Ihr?«
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