Der Verhandlungs-Profi
Der Exit-Punkt und der Plan B der anderen Verhandlungspartei sind sehr schwer einzuschätzen, wenn Sie über keine präzisen Informationen verfügen. Trotzdem lohnt es sich, darüber sehr detailliert und konzentriert nachzudenken. Denn wenn Sie eine Vermutung haben, wo der Exit-Punkt Ihres Verhandlungspartners liegt, kann das sehr wohl Einfluss auf die Richtung haben, in die Sie pushen wollen – zum Beispiel mit Ihrem ersten Vorschlag. Aber auch darauf, wie beweglich Sie sind, wenn es darum geht, Werte zu schaffen beziehungsweise den Kuchen zu vergrößern. Überlegen Sie daher:
Was wäre seine Alternative?
Was würde er machen, falls wir zu keiner Einigung kommen?
Welchen Aufwand würde das für ihn bedeuten, was würde es ihn kosten?
Die Beschäftigung mit diesen Fragen wird Ihnen eine Fülle an Ideen, Möglichkeiten und wertvollen Gedanken liefern. Im Folgenden einige Ansatzpunkte, wie Sie die Position des Verhandlungspartners möglichst gut einschätzen können.
Schritt 1: Zapfen Sie sämtliche verfügbaren Quellen an
Wenn Sie keine Möglichkeit haben, Ihren Verhandlungspartner direkt zu fragen, und Sie sich nicht auf ein Ratespiel einlassen oder sich auf Einschätzungen verlassen wollen, finden Sie in der Praxis viele Möglichkeiten, um an Informationen zu gelangen.
Ein praktischer Fall, mit dem wir immer wieder konfrontiert sind, ist die Bewerbungsphase von Topmitarbeitern in Unternehmen, in der es darum geht, umfangreiche Packages zu verhandeln und einen für beide Seiten zufriedenstellenden Deal zu finden. Viele Bewerber sind in dieser Phase überraschend unkreativ und wissen kaum mehr über die Firmen, als sie von ihren Gesprächspartnern – oft gehört dazu der CEO – oder von der Website des Unternehmens erfahren.
Ich ermutige diese Bewerber immer, sich mit Kunden und Geschäftspartnern des Unternehmens zu unterhalten und nach Möglichkeit selbst in Verhandlung zu treten, also sich ein Angebot über eine gewisse Leistung schicken zu lassen und so zu sehen, wie das Unternehmen funktioniert. Durchaus sinnvoll ist es auch, sich den Mitbewerb so gut wie möglich anzusehen, mit Freunden zu sprechen, die mit der Firma oder mit dem Mitbewerb bereits zu tun hatten, oder auch hinzugehen und mit dem Portier zu plaudern.
Zur Erinnerung: Je mehr Information Sie haben, umso besser ist Ihre Verhandlungsposition. Dazu zählen auch Gehaltsstatistiken, Gehaltsvergleiche, Einkommensvergleiche der Branche und der Positionen. Umso besser Ihr Verständnis der Bandbreite der Möglichkeiten Ihres Verhandlungspartners ist, umso präziser wird die Einschätzung seines Plans B und seines Exit-Punkts sein. Zapfen Sie also so viele Quellen wir nur möglich an und füllen Sie Ihren ESP immer vollständig aus.
Schritt 2: Unterscheiden Sie zwischen Wissen und Vermutungen
Auch wenn Sie im Schritt 1 gewissenhaft gearbeitet haben und sich viel Information geholt haben, unterliegen Sie bitte nicht dem Irrglauben, dass Sie den Exit-Punkt oder den Plan B Ihres Verhandlungspartners nun tatsächlich kennen. Es ist sehr sogar eher unwahrscheinlich, dass Sie ihn kennen, im günstigsten Fall können Sie ihn gut einschätzen. Überschätzen Sie sich dabei aber bitte nicht, denn viele Menschen halten sich zu diesem Zeitpunkt fälschlicherweise für klüger oder gescheiter als ihren Verhandlungspartner, die in der Einleitung erwähnte Ego-Falle schnappt zu.
Für Sie bedeutet das, dass Sie nicht nur aufschreiben, was Sie alles wissen, sondern sich auch eine Liste darüber machen, was Sie alles nicht wissen. Im Zuge der Auflistung der Punkte, die Sie nicht wissen, ist es ganz besonders wichtig, zu unterscheiden, was Sie glauben , zu wissen, denn das bedeutet in Wirklichkeit, dass Sie es nicht wissen, sondern lediglich vermuten. Wichtig dabei ist, dass Sie selbst erkennen, wo Sie auf Vermutungen und Einschätzungen angewiesen sind und sich dadurch möglicherweise auf eine falsche Fährte locken lassen.
Schritt 3: Überprüfen Sie Ihre Vermutungen und Ihre Einschätzungen durch gezielte Fragen an Ihren Verhandlungspartner
In der Phase 2 des VerhandlungsChrono, Klären, können Sie Ihre Vermutungen und Einschätzungen überprüfen. Bereiten Sie Ihre Fragen in der Vorbereitung vor. Formulieren Sie offene Fragen, denn damit erhalten Sie mehr Information als mit geschlossenen Fragen. Da es sein kann, dass Sie mit direkten Fragen nicht weiterkommen werden oder der Verhandlungspartner abblockt, bereiten Sie indirekte Fragen vor, um sich Ihrem Thema
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