Der Verhandlungs-Profi
Vorsicht, wenn alles zu glatt läuft: Seien Sie skeptisch und nehmen Sie sich die Situation noch einmal genauer vor. Wenn die Gegenseite ein Angebot macht, das eigentlich zu gut ist, um wahr zu sein, fragen Sie sich:
Wissen die etwas, was ich nicht weiß?
Stellen Sie sich vor, Sie haben ein altes Schmuckstück geerbt, das Sie auf einen Wert von 200 bis 300 Euro schätzen. Sie gehen damit zum Juwelier. Dieser bietet Ihnen 1.000 Euro. Bitte schlagen Sie nun keinesfalls freudestrahlend ein, sondern bedanken Sie sich höflich, ziehen Sie sich zurück und fragen Sie sich: Was weiß der Juwelier, was ich nicht weiß? Warum würde er ein Vielfaches des von mir erwarteten Preises zahlen?
Die Gründe dafür können vielfältig sein. Wahrscheinlich gibt es etwas, das Sie nicht wissen und auch in Ihrer Vorbereitungs- und Klärungsphase nicht herausfinden konnten. Zum Beispiel die Zugehörigkeit des Schmucks zu einer bestimmten Epoche oder die Herkunft oder den prominenten Vorbesitz in der Vergangenheit.
Oft liegt es daran, dass die Verhandlungszone und der Exit-Punkt Ihres Verhandlungspartners viel höher liegen, als Sie dachten. Daher:
TIPP
Wenn etwas zu gut klingt, um wahr zu sein, nehmen Sie niemals das erste Angebot an.
Machen Sie auch nicht sofort einen Gegenvorschlag, sondern ziehen Sie sich zurück, prüfen Sie sämtliche Fakten, bis Sie genau wissen, wie der Stand der Dinge ist, und formulieren Sie erst dann Ihren Gegenvorschlag, der die neue Situation berücksichtigt.
Wann ist ein Vorschlag fair?
Für den Begriff „Fairness“ gibt es weder eine Norm noch einen allgemeinen Standard. Nicht nur persönliche Vorlieben und gelerntes Verhalten, sondern vor allem auch die jeweilige Situation haben Einfluss auf den Umgang mit Fairness. So kann zum Beispiel ein Gangsterboss, der mit Drogen handelt und Menschen töten lässt, ein extrem fairer Mensch im Umgang mit seinen Freunden und der Familie sein. Eine Sichtweise, die wohl so manchem Unbehagen bereitet, aber aufgrund der Differenziertheit des Themas nachvollziehbar ist.
Das Problem liegt darin verborgen, dass Sie nie wissen können, was für einen anderen Menschen fair ist. Ein fairer Zugang zu einer Verhandlung könnte sein, dass alles im gleichen Verhältnis geteilt wird, jede Partei profitiert also im Ausmaß von 50 Prozent des Verhandlungsergebnisses. Fair könnte aber auch sein, dass jede Partei im Ausmaß der eingesetzten Ressourcen profitiert oder im Ausmaß der Notwendigkeit, in dem ein Teil des Ergebnisses benötigt wird. So ist es etwa bei unterschiedlichen Gehaltssystemen: Fixgehalt oder Bonus beziehungsweise Provisionssystem – je nach System werden Sie bei gleicher Leistung einmal mehr und einmal weniger verdienen. Ein unfairer Deal also mit Ihrem Arbeitgeber?
Kahnemann, Knetsch und Thaler zeigen in einer Studie, dass Fairness oft nichts anderes ist als ökonomisches Verhalten: Ein Geschäft verkauft Schneeschaufeln für 15 Euro. Am Morgen nach einem schweren Schneesturm kosten dieselben Schaufeln im selben Geschäft plötzlich 20 Euro. Ist das fair oder unfair, was meinen Sie?
Rein ökonomisch betrachtet muss der Preis natürlich nach oben gehen, das bestimmt das Gesetz von Angebot und Nachfrage. Trotzdem: 82 Prozent der befragten Studienteilnehmer halten die Preiserhöhung für unfair. Und von jenen, die den Preisanstieg für fair hielten, antworteten viele auf die Kontrollfrage, ob es fair sei, nach einem Hurrikan Stromgeneratoren teurer zu verkaufen, mit Nein. Obwohl die Logik dahinter dieselbe ist.
Drehen wir die Situation wieder um: Sie sind nun der Eigentümer des Geschäfts und haben noch 25 Stück Schneeschaufeln auf Lager. Sollen Sie Ihren Profit erhöhen oder hätten Sie vielleicht Bedenken, dass diese Preiserhöhung Sie in Zukunft Geld kosten könnte, weil Ihre Kunden sauer sind? Eine rationale Entscheidung kann in diesem Fall also negative Auswirkungen haben, wenn zum Beispiel Mitbewerber die Komponente Fairness berücksichtigen und die Preise stabil lassen.
Fairness ist also ein recht dehnbarer Begriff, und durch unterschiedliche Auffassungen können Verhandlungen sehr leicht zum Platzen gebracht werden.
Der Bezugsrahmen beeinflusst den Fairness-Faktor
Der Faktor Fairness beeinflusst also nicht nur das aktuelle Verhalten, sondern vor allem auch das zu erwartende Verhalten. Und dieses hängt, wie die Studie zeigt, immer auch vom Rahmen ab, in dem es stattfindet. Folgendes Beispiel illustriert deutlich, wie Fairness vom Bezugsrahmen
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