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Der verkaufte Patient

Titel: Der verkaufte Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Hartwig
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beispielsweise gerade nach einer Chemotherapie aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Dieses System verlockt zu den abenteuerlichsten Überlebensstrategien. Im Fitnesscenter liegen zufällig Visitenkarten von Ärzten herum, mit einer langen Liste von »modernen« Spezialisierungen – Sportmedizin etc. Das soll die junge, gesunde Klientel anlocken. Eine andere Strategie: Ärzte ändern einfach das Corporate Design ihrer Praxis. Ein bisschen mehr Lifestyle, laute Musik, grelle Bilder! Dasschreckt die teuren Senioren ab. Ja, wenn die nicht
kommen!
– sagt das beruhigte ärztliche Gewissen. Spaß beiseite. Der Täter ist das System; es belohnt den Arzt, der möglichst viele junge, gesunde Karteipatienten hat – und es bestraft den Arzt, der einen ganz normalen Job macht, indem er jeden Kranken behandelt.
Weh dem, der krank ist!
     
    Im Ganzen führt unsere derzeitige Gesundheitspolitik also zu einer absurden Folgerung: Es macht die Gesunden »krank« – und verweigert den Kranken das Gesundwerden. Ärzte überleben nämlich, indem sie gezwungen sind, möglichst viele Patienten zu haben, die man mit »nichts« kurieren kann (weil sie auch nichts haben), und die Patienten auszugrenzen, die vielfältige, schwierige und schwer diagnostizierbare Leiden haben und echte (sprich: teure) Hilfe benötigen. Der frühere Ärztekammerpräsident Karsten Vilmar erkannte den fatalen Systemfehler dieser Gesundheitsstrategie bereits im Jahr 1998, als man ihn in den Medien fast zerriss für den ironisch gemeinten Satz: »Dann müssen die Patienten mit weniger Leistung zufrieden sein, und wir müssen insgesamt überlegen, ob diese Zählebigkeit anhalten kann oder ob wir das sozialverträgliche Frühableben fördern müssen.« Dieser Ausdruck wurde damals zum Unwort des Jahres 1998 erklärt. In Wahrheit war der Mann ein Prophet, der Prügel für seine Weitsicht einstecken musste. In einem Interview wurde er gefragt, ob die Gesundheitspläne der Regierung zum früheren Tod der Patienten führen würden. Vilmar antwortete: »Wird diese Reform so fortgesetzt, dann wird das die zwangsläufige Folge sein.« Statt sich mit der Ursache für diese polemische Äußerung zu befassen, handelte sich Vilmar eine Strafanzeige wegen öffentlicher Anstiftung zu Straftaten ein.
Hassobjekt Arzt
     
    Statt Ärzte zu stützen und die gesundheitliche Versorgung der Patienten zu sichern, bastelte die Politik am Feindbild »Arzt«. Lancierte Medienberichte wurden benutzt, um durch Einzelfälle zur kollektiven Verurteilung des ganzen Berufsstandes beizutragen: Der »gierige Arzt« ist schuld. Diese Botschaft wurde wieder und wieder hinausposaunt. So wurde der Boden für die innere Erosion eines ganzen Berufsstandes geschaffen – der nahrhafte Boden für Frust, Mutlosigkeit, Existenzangst, Verunsicherung, Neid und mangelnde Solidarität. In diesem Milieu der Diffamierung konnte das systematische politische Zerstörungswerk an der Instanz des »freien, niedergelassenen Arztes« in Gang gebracht werden. Vor diesem Hintergrund konnte man ihm den Ring durch die Nase ziehen und ihn Stück für Stück zum Sklaven der schönen neuen Gesundheitswelt machen. Es fehlte nicht an Denunzianten, Verrätern, Intriganten und Rufmördern. Die Parole lautetet: Weg mit dem freien Arzt! Er ist die letzte Bastion vor der Auslieferung des Gesundheitssystems an den freien Markt.
    Einige haben mir vorgeworfen, ich sei eine »Ärzteversteherin«. Das ist korrekt. Das bin ich. Man lernt ja dazu. Wie andere Bürger glaubte ich jahrelang, dass Ärzte auf hohem Niveau jammerten. Dass wir Patienten belogen, betrogen und verkauft werden, ist mir schon lange klar. Dass aber auch die niedergelassenen Ärzte Opfer der neuen Gesundheitspolitik sind, dass man sie gnadenlos über die Klinge springen lässt, das war mir neu. Heute weiß ich: Wir sitzen in einem Boot. Ohne unsere letzten Anwälte, die freien, niedergelassenen Ärzte, werden wir mit Haut und Haaren an die »Geldmaschine« ausgeliefert; sie betreibt die privatwirtschaftliche Ausplünderung des Bürgers unter dem Vorwand, man wolle uns heilen. Aber auch die Ärzte brauchen unsere entschlossene Solidarität. Wenn wir sie in ihrem Kampf um Freiheit und Überleben jetzt allein lassen, sind wir alle endgültig verloren.Wir haben nichts davon, wenn aus freien, niedergelassenen Ärzten abhängige, ferngesteuerte Apparatschiks werden – Angestellte börsennotierter Unternehmen, die Kasse mit uns machen, statt uns zu heilen.
Letzte Chance:

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