Der verkaufte Patient
Menschen zusteht
, das heißt aufgrund seiner einmaligen Würde. Dieses ihm zustehende
Etwas
ist untrennbar verbunden mit der Möglichkeit, zu überleben und einen aktiven Beitrag zum Gemeinwohl der Menschheit zu leisten.«
Die selbstlosen Helfer kommen
Zwei Generationen haben über ihre Verhältnisse gelebt und über den Kult von Luxus, Leistung und Erfolg sogar die Reproduktion ihrer eigenen Art vergessen. Die dritte Generation versucht die Schulden zu bezahlen, indem sie das Tafelsilber verkauft und die Zukunft mit Hypotheken belastet – und die vierte Generation wird arm, entsolidarisiert, schutz- und rechtlos sein. Wir befinden uns – es ist nicht schwer zu erraten – in der dritten Generation. So könnte man unsere Wirklichkeit beschreiben und einigermaßen verstehbar machen, warum diejenigen, die ich
Integristen
nenne, also jene Politiker und Politmanager, die grenzüberschreitend zwischen Politik und Wirtschaft oszillieren, da und dort einen Fuß in der Tür und ein Mandat im Aufsichtsrat haben – warum diese Leute in kalter Konsequenz den Ausverkauf eigentlich unveräußerlicher Staatsaufgaben und Staatsressourcen betreiben.
Es agiert eine Politikergeneration, die, in der Schule des Neoliberalismus und Thatcherismus ausgebildet, den Staat »sanieren« möchte. Ohne jede Berührungsangst öffnen sie den Wirtschaftsinteressentraditionellstaatliche Tätig keitsfelder. In der Tat kann der Staat von der Wirtschaft funktionale Effizienz und kostenadäquate Erbringung von Dienstleistungen lernen. Die Integristen fahren aber keineswegs parallel – lernend, sich helfen lassend – mit der Wirtschaft. Sie wechseln die Seiten. Sie vermengen. Sie springen hin und her. Ihr Projekt ist sozusagen die Heiligung der Verfilzung, der spielerische Tausch der Kommandobrücken, die Legalisierung der Korruption. Sie machen den Markt zur letzten Wirklichkeit und sorgen dafür, dass eine Grauzone entsteht, in der niemand mehr weiß, was denn nun staatlicher Auftrag und was Unternehmerinteresse ist. Integristen sind Leute, die Gewaltenteilung ganz neu definieren: Jeder darf mal! Sie befinden sich immer auf dem Boot, das gerade fährt. Shimon Perez schockte mich zuletzt, als er in einer Rede bekundete, Politik sei eigentlich machtlos, das habe er in seinem langen Leben festgestellt, sie könne nichts bewirken. Der wahre Faktor der Veränderung sei die Wirtschaft, wo man doch in China Internet betreiben und jeder Student ein business begründen könne. Auch so ein Integrist!
Die Wirtschaft, der so Tür und Tor geöffnet wird, freut sich nicht nur über den »neuen Markt«, sie hat auch alles Interesse, die Nacht schwarz zu halten, in der alle Katzen grau sind. Das merkt man am Gesundheitswesen. Der Patient, der in die Klinik geht, meint noch immer, er nehme Leistungen für seinen Kassenbeitrag in Anspruch – er bekomme für sein, dem Staat treuhänderisch anvertrautes Geld die ihm zustehende Hilfe zur Gesundheit. In Wahrheit ist er längst Kunde eines Unternehmens, das ihn doppelt abzockt: über die »Pflicht« der staatlichen Gesundheitsleistungen und über die »Kür« dessen, was der Gesundheitsunternehmer noch kreativ aus ihm herausholt. In Deutschland gibt es schon heute vier oder fünf große Klinikkonzerne – Asklepios, Fresenius, Sana, dieRhön-Kliniken, Helios (bis 1994 bei Asklepios, seit 2005 zu 94 % bei Fresenius). Und täglich überlegt sich eine Uniklinik, ein kommunales Krankenhaus, vor welchem der vier, fünf netten Helfer es kapitulieren soll.
Die vier entwickeln einen Sog wie ein gigantischer atmosphärischer Staubsauger – und sie benutzen den Staat als Ansaugstutzen für die nachhaltige, lückenlose Installation ihrer Wertschöpfungskette. Die vier wollen den Markt für sich, und zwar den ganzen, auch den ambulanten. Übrigens werden zwei von den vieren (oder fünfen) ins Gras beißen. Der Markt ist zu klein. Wer von ihnen? Wetten werden angenommen. Vorerst schaut die Viererbande von oben auf die wuselige Szene. Aus dieser Perspektive gibt es die freien, niedergelassenen Ärzte schon fast nicht mehr. Sie wissen gar nicht, wie man das Wort »Hausarzt« buchstabiert. Mediziner jenseits und unterhalb der industrialisierten Großmedizin, das sind für die Klinikbetreiber diejenigen, die mit dem Kochlöffel diagnostizieren und mit der Kneifzange therapieren! Fossile Heiler, vorprofessionelle Quacksalber!
Und was bedeutet das nun, dass momentan schon 20 % unserer Krankenhäuser von der öffentlichen in
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