Der verkaufte Patient
die (unter strenger Mengenbudgetierung) erbrachten ärztlichen Leistungen. Tatsächlich aber klafft zwischen diesen Vorgaben und den dafür von den gesetzlichen Kassen ausgegebenen Beträgen eine Lücke von jährlich (2006) ca. 8,5 Mrd. Euro. Bei einem fiktiv konstanten (22,7 %igen) Anteil an diesem GKV-Haushalt von 145,74 Mrd. Euro entspricht das7,7 %ige Defizit für die ambulante ärztliche Versorgung derzeit 11,22 Mrd. Euro im Jahr. Es ist folglich Desinformation, wenn die gesetzlichen Krankenkassen den freiberuflichen Ärzten die Schuld an der angespannten Finanzlage der Kassen in die Schuhe schieben. Wer, außer den Krankenkassen selbst, bedroht die Finanzsituation der GKV und deren Beitragssatzstabilität?
Der Griff in die Kasse
Seit Jahren vergreift sich der Gesetzgeber selbst an den zweckgebundenen Beiträgen der gesetzlich Versicherten, sei es bei der Rente, sei es beim Thema Gesundheit. Die desaströsen Folgen sind bekannt. Ich frage mich: Tut der Staat das, um die Löcher in anderen Sozialsystemen zu stopfen oder um die eigenen Haushaltsprobleme zu kaschieren? Der Gesetzgeber bedient seit vielen Jahren andere Sozialsysteme aus Geldern der GKV und reduziert damit die Einnahmen der GKV um einen jährlich zweistelligen Milliardenbetrag.
Jüngstes Beispiel: Hartz IV. Arbeitslose werden zu beitragsfrei Mitversicherten. Allein die Arbeitsmarktreform belastet die GKV jährlich mit etwa 600 Mio. Euro. Die Kassen streichen ihrerseits kurzerhand diese Summe bei den Ausgaben für die ambulante ärztliche Versorgung, obwohl die Personen unverändert die Versorgung in Anspruch nehmen.
Ein nicht unbeträchtlicher Teil der GKV-Finanzen wurde und wird zur Mitfinanzierung der Folgekosten der deutschen Einheit verwendet. »Ohne Wiedervereinigung Krankenkassenbeitrag wie 1991«, stellte die Studie
Drabinski/Beske
im Mai 2003 fest.
Der Gipfel politischer Heuchelei ist aber die Tatsache, dass in Deutschland Medikamente mit dem vollen Mehrwertsteuersatz belegt werden; die Erhöhung anno 2007 um 3 % belastet die GKV erneut mit 900 Mio. Euro im Jahr. Den Playboyund Katzenfutter gibt’s für 7 % MwSt. Alle Medikamente haben einen Zuschlag von 19 %. Fazit: Die Steuererhöhungen verursachen Kostensteigerungen im Gesundheitswesen.
Hier bleibt mir nur die Frage: Wann wird endlich eine unabhängige Kontrollinstanz mit Veröffentlichungspflicht (!) installiert, die das Finanzgebaren der Krankenkassen unter die Lupe nimmt?
Kleiner Ausflug zu Herrn Parkinson
Der Bundesrechnungshof, eine Behörde, die (wir sahen es) nicht immer und überall erwünscht ist, ist immer für die eine oder andere Trouvaille gut. So entdeckte er vor einigen Jahren eine lokale Schifffahrtsbehörde, von der die Prüfer fanden, sie sei überflüssig. Eine Nachprüfung hatte nämlich ergeben, dass die einst rege Schifffahrt in der fraglichen Region quasi zum Erliegen gekommen war. Wäre der Bundesrechnungshof nicht auf den naheliegenden Gedanken gekommen, dass hier eine Art »Nichts« verwaltet wurde, es gäbe die Behörde vermutlich immer noch. Alle Reformen hätte sie überstanden, alle Qualitätssicherungsmaßnahmen vorgenommen, und wahrscheinlich hätte man dem Amtsleiter, der unter den Anforderungen zu ersticken drohte, weiteres Personal zugestanden. Ich weiß nicht, ob der Amtsleiter und seine Kollegen nun in anderen Behörden nichts verwalten oder ob man sie nach so viel anstrengendem Nichtstun nun in den einstweiligen Ruhestand versetzt hat. Es gibt eben mehr
Black Boxes
, als man denkt. Wo man nicht genau hinsieht, blühen Bürokratien auf. Manchmal geschieht in ihnen glücklicherweise nichts. Es gibt auch
Black Boxes
, in denen unglücklicherweise jede Menge geschieht.
Das sozialpsychologische Gesetz, nach dem sich so etwas ereignet, entdeckte man schon vor einem halben Jahrhundert. Es heißt nach seinem Erfinder das
Parkinsonsche Gesetz
und hat nichts mit der gleichnamigen Krankheit zu tun. Der Soziologe Cyril Northcote Parkinson stellte darin zwei Lehrsätze auf: 1. Arbeit dehnt sich in genau dem Maß aus, wie Zeit für ihre Erledigung zur Verfügung steht – und nicht in dem Maß, wie komplex sie tatsächlich ist. 2. In Diskussionen werden diejenigen Themen am ausführlichsten diskutiert, von denen die meisten Teilnehmer Ahnung haben – und nicht die Themen, die am wichtigsten sind. Daraus zog Parkinson zwei wichtige Folgerungen, aus denen sich die inflationäre Vermehrung unkontrollierter Bürokratien überall auf der Welt erklärt
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