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Der verkaufte Patient

Titel: Der verkaufte Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Hartwig
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…?«: In einer deutschen Stadt werden 50 freie, niedergelassene Ärzte in den Saal gebeten und mit 50 Patienten konfrontiert, die ihnen jeweilseine erbrachte ärztliche Leistung benennen. Meine Wette ist: Keiner der Ärzte kann sagen, was er für seine Leistung am jeweiligen Patienten in Euro und Cent bekommt.
Verwirrspiel mit Zahlen
     
    Man schrieb das Jahr 1977, als der Gesetzgeber ein Krankenversicherungskostendämpfungsgesetz (KVKG) einführte. Grund waren die unterschiedlichen Gebührenordnungen der verschiedenen gesetzlichen Krankenversicherungen. Der Gesetzgeber wollte eine stärkere Ausgabenbegrenzung; so kam es ab 1978 zu einem »einheitlichen« Bewertungsmaßstab (EBM) für alle ambulanten Krankenkassenanwendungen. Bei den Zahnärzten heißt das Instrument »Bewertungsmaßstab zahnärztlicher Leistungen« (Bema).
    Wie kann es anders sein, die Grundlage für den EBM, wie er heute Anwendung findet, ist wieder einmal das Sozialgesetzbuch V (SGB V). In § 87 Abs. 2 heißt es: »Der einheitliche Bewertungsmaßstab bestimmt den Inhalt der abrechnungsfähigen Leistungen und ihr wertmäßiges, in Punkten ausgedrücktes Verhältnis zueinander; soweit möglich, sind die Leistungen mit Angaben für Dienst- und Leistungserbringung erforderlich und mit dem Zeitaufwand des Vertragsarztes zu versehen.«
    Heißt im Klartext: Das Verwirrspiel um die Zahlen beginnt. Kein Arzt weiß, was er an der an uns erbrachten Leistungen verdient, außer er ist überdurchschnittlich gut im Kopfrechnen, hat ein gigantisches Zahlengedächtnis oder ist überhaupt ein wandelnder Taschenrechner.
Klicker mit Krankenkassen
     
    Spielen wir es einfach einmal durch. Ich sage allerdings gleich: Es ist ein kompliziertes Spiel – und wenn Ihnen am Ende der Kopf brummt, haben Sie nicht
Confusionitis
im fortgeschrittenen Stadium, sondern einen korrekten Eindruck von dem System. Es ist, als habe man McChaos den Auftrag gegeben: Leute, erfindet bitte einen Abrechungsmodus, den keiner versteht, der Leistung bestraft, der für Patienten bezüglich erbrachter Leistung und Honorare komplett undurchschaubar ist, der Arztpraxen zum Kollabieren bringt, der Ärzte dauerhaft von der Arbeit abhält, der eine ständige Quelle von Abrechnungspannen ist, der Leistungserbringer zu Bittstellern macht, dessen Variablen jederzeit einseitig veränderbar sind, der frühestens nach drei Jahren zu berechnen ist, der jede Planungssicherheit für Ärzte zerstört, der Heerscharen von Verwaltungsbeamten in Lohn und Brot bringt, der mindestens die doppelte Anzahl von Kontrolleuren erfordert und der überdies noch einen Zufallsgenerator für Bestrafungen enthält!
Geht nicht?
    Geht nicht, gibt’s nicht. Einigen Spielekonstrukteuren ist es nämlich tatsächlich gelungen, ein solches Meisterstück zu bauen. Die Kassenärztlichen Vereinigungen sind mächtig stolz auf die Lizenz an diesem vermeintlichen kindischen (in Wahrheit kriminellen) Spiel; und sie zwingen freie, niedergelassene Ärzte, es jeden Tag mit den Krankenkassen zu spielen, wobei viele Kassen sich noch besonders knifflige Spielvarianten ausgedacht haben, die die Ärzte regelmäßig schlecht aussehen lassen.
    Ärzte hassen es – und sind doch aus existenziellen Gründen gezwungen, es mitzuspielen. Das ist nun ein Punkt, den ich wirklich nicht verstehe. Hinter vorgehaltener Hand lästern sie völlig zu Recht über diesen »Oberquatsch« und beklagen sich wortreich über einen »Jahrhundertskandal« – aber einen Stopp dieses absurden Systems kriegen sie seit Jahr und Tagnicht auf die Reihe. Gewiss werden sie vom Dreigestirn aus Politik, KV und Kassen auf eine skandalöse Weise erpresst, indem ihnen grundgesetzwidrig sogar Berufsverbot droht, wenn sie sich weigern, die einseitig aufgestellten, demokratischer Kontrolle entzogenen Unrechtsregeln zu befolgen.
    Wenn das aber so ist – wieso stehen sie dann nicht auf
wie ein Mann
und sagen gemeinsam ein einziges Wort, das Wort:
nein
– und steigen aus!? Es gibt ein Zitat von John F. Kennedy, das ich Ärztinnen und Ärzten gern auch zuzahlungsfrei auf Kassenrezept ausstelle: »Wann, wenn nicht jetzt? Wo, wenn nicht hier? Wer, wenn nicht wir?«
Exkurs für solche, die nicht mitspielen wollen
     
    Den berühmt-berüchtigten § 95b (»Kollektiver Verzicht auf die Zulassung«) muss man hier zitieren, im Zusammenhang mit den Abrechnungsmodalitäten von KV und Krankenkassen. Ich halte ihn für einen Schurkenparagraphen – und zwar nicht erst, seit beim

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