Der verkaufte Patient
Bundesverfassungsgericht ein Antrag auf Verbot dieser Bestimmung läuft. Ich zitiere: »(1) Mit den Pflichten eines Vertragsarztes ist es nicht vereinbar, in einem mit anderen Ärzten aufeinander abgestimmten Verfahren oder Verhalten auf die Zulassung als Vertragsarzt zu verzichten. (2) Verzichten Vertragsärzte in einem mit anderen Vertragsärzten aufeinander abgestimmten Verfahren oder Verhalten auf ihre Zulassung als Vertragsarzt und kommt es aus diesem Grund zur Feststellung der Aufsichtsbehörde nach § 72a Abs. 1, kann eine erneute Zulassung frühestens nach Ablauf von sechs Jahren nach Abgabe der Verzichtserklärung erteilt werden …«
Im Endeffekt diente dieser von Horst Seehofer eingebrachte Paragraph dazu, die damals revoltierenden Zahnärzte an die Kandare zu nehmen. Er wurde aber so formuliert, dass er heute der Strick an der Gurgel eines jeden freien, niedergelassenenArztes ist. Für die KVen wurde er zum Schutzschild. Hinter ihm versteckt und politisch geschützt, üben sie ihr Diktat über die Ärzte aus. Beim Ärztetag in Hannover wurde am 9. 2. 2008 auf meinen Antrag die folgende Resolution zur Abstimmung gestellt. »Der Ärztetag der Basis fordert die ersatzlose Streichung des § 95b SGB V.« Sie wurde – bis auf eine Enthaltung – einstimmig angenommen.
Der Arzt als Erbsenzähler
Nun – wie geht dieses Spiel? Der Patient kommt in die Praxis, meldet sich an, und die Maschine beginnt zu laufen. Man nennt dem Arzt seine Beschwerden. Für jede abrechenbare Leistung gibt es eine Ziffer, einen e inheitlichen B ewertungs m aßstab (daher die sogenannte EBM-Nummer) und eine Punktzahl. EBM-Nummern können mit Richtzeichen versehen sein, die nach der Abrechnung für eine Plausibilitätsprüfung benötigt werden. Zum Beispiel beginnen allgemeine diagnostische und therapeutische Leistungen (nehmen wir einmal Leistungen wie »Punktion« oder »Gipsanlage«) mit den Ziffern 02. EBM-Nummern mit den eigentlichen Betreuungsleistungen sowie spezifischen Komplexen gibt es für jedes Fach und für jeden Arzt. Hausärzte haben 03, Kinderärzte 04, Urologen 26 usw. Es sieht dann so aus: Der Arzt gibt GOP 03111 ein – das ist die einmalige Pauschale im Quartal für Patienten vom 5. bis zum 59. Lebensjahr, und das heißt: 900 Punkte.
Das ärztliche Honorar errechnet sich aus der Punktzahl, multipliziert mit dem Punktwert, der – und da beginnt man zu staunen – nun freilich variabel ist. Im April 2005 lag bei der Erstellung des EBM ein kalkulatorischer Punktwert von 5,11 Cent zugrunde. Bis zum ersten Quartal 2008 sank dieser Punktwert bis zu 30 %.
Wenn der Arzt mich jetzt in Behandlung nimmt, weiß er zwar beim Eintippen in den PC, dass er 900 Punkte bekommt. Um jedoch auszurechnen, was das in Euro ist, bedarf es dann schon eines Rechners. Im Moment bedeuten die 900 Punkte, dass der Arzt sie mit ca. 3,5 Cent multiplizieren muss. Übermorgen kann es sein, dass er sie mal 2,9 nehmen muss. Es geht zu wie an der New Yorker Börse. Ergänzende Information: Sinkt der Punktwert von 2,9 Cent auf 2,7 Cent, wären das dann knapp 7 % weniger Honorar. Nehmen wir also den Taschenrechner! Der sagt mir: Punktzahl mal gerade laufende Cent-Vergütung, hier: 3,5 Cent × 900 Pkt. = Euro 31,50. Das ist der aktuelle Tagespreis für die Grundpauschale pro Quartal für diesen Patienten.
Die Weimarer Art, den Ärzten zu helfen
Fakt ist: Die Honorare der Ärzte schrumpfen. Durch die Budgetierung wird gedeckelt. Es gibt zwar mehr Punkte, aber der Punktwert fällt. Das ist wie beim Murmelspiel. Eine große Murmel ist mehr wert als viele kleine. Oder erklären wir es noch anders: Es ist wie mit der Inflation in der Weimarer Republik. Da kamen die Arbeitgeber nach Hause und jubelten: »Schaut mal, es geht aufwärts! Vier Millionen! Letzten Monat waren es nur zwei Millionen!« Am nächsten Tag entdeckten sie, dass da wieder wer an der Währung geschraubt hatte. Real hatten sie weniger in der Tasche als je zuvor. So ungefähr muss man sich EBM 2000
plus
vorstellen. Die Schrauber verkünden einen Anstieg des Punktwerts. In Wahrheit nutzen sie die Währungshoheit, die sie gepachtet haben, um die Inflation noch weiter anzuheizen. Schon mit einem Bruchteil an Hintergrundwissen dreht sich einem der Magen um, wenn unsere Gesundheitsministerin stolz bilanziert, dass das Honorar der Praxisärzte sei 2007 um 3,3 % gestiegen sei, oder wenn sie prophezeit, die »wirtschaftliche Situation inden Praxen wird sich in den nächsten Jahren deutlich
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