Der verkaufte Patient
verbessern«. Die Ärzte von Kiel bis Garmisch entgegnen: Es kam 2007 nicht mehr Geld an, sondern deutlich weniger!
Ärztebesuch zur Unzeit
Aber ich kann Sie noch nicht aus der Mathematikstunde der Gesundheitspolitik entlassen. Irgendwie müssen die Ärzte doch auf ein paar Euro kommen. Dabei können Sie helfen! Sagen wir, Sie kommen zufällig zur
Unzeit
zum Arzt. Das Wort habe ich zuletzt in der Tanzstunde gehört –
Unzeit:
»Man klingelt nicht zur
Unzeit
an!« Unzeit – das kommt jetzt wieder. Dafür gibt es eine »Unzeit-Ziffer«, und zwar die Nummer 01100-01102. Eine geniale Sache! Diese Unzeit-Ziffern gelten zwischen 19.00 und 22.00 Uhr, an Samstagen, Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen, aber auch – wer hätte es gedacht? – am 24. 12. und am 31. 12. – aber nur zwischen 7.00 und 19.00 Uhr. Alles klar?
Nein? Hilfestellung gibt der »Schnellcheck für Niedergelassene« – komplizierte Systeme rufen Berater (siehe Kap. 14) auf den Plan. Ich zitiere: »Voraussetzung dafür, dass der Arzt diese Ziffern abrechnen kann, ist aber immer, dass die Inanspruchnahme tatsächlich unvorhergesehen erfolgt.« Weil ja kein Mensch wissen kann, was
unvorhergesehen
bedeutet, gibt es weitere nützliche Praxishilfe: »Unvorhergesehen bedeutet: Die Initiative muss vom Patienten ausgehen und keinesfalls vom Arzt.« Es könnten gewiefte Ärzte ihre Praxen ja nur zwischen 19.00 und 22.00 Uhr öffnen sowie am 24. 12. und 31. 12. – da allerdings länger, nämlich zwischen 7.00 und 19.00 Uhr. Was für ein perverses System! Wer sagt, das deutsche Steuerrecht sei kompliziert, kennt die Abrechnungshürden für Ärzte nicht.
Spielregeln für Fortgeschrittene
Für eine Leistung, die mit 100 Punkten bewertet ist, erhält ein Arzt doppelt so viel wie für eine, die mit 50 Punkten bewertet ist. Ist ja auch logisch. Aber nicht zu früh freuen! In diesem System hat leider nicht jeder Punkt denselben Wert! Ergo, wenn ich bei meinem Arzt sitze und ihm meine Beschwerden erzähle, er mich untersucht, mir dann hilft, steht nur eins fest – ich bin Patient, er ist Arzt, da ist ein PC.
Der Arzt, der die Punkte eingegeben hat, weiß zum Zeitpunkt meiner Untersuchung nicht einmal, was sie tatsächlich wert sind! Warum? Weil der durchschnittliche Punktwert in einem bestimmten Abrechnungszeitraum ermittelt wird und erst danach feststeht, wie viel ein Punkt wert ist! Bestellen Sie einmal einen Handwerker, eröffnen Sie ihm, er werde nach Punkten bezahlt, und sagen Sie ihm: Was ein Punkt wert ist, erfahren Sie bei Gelegenheit. Er wird Ihnen die Rohrzange auf die Füße fallen lassen.
Das kann nicht sein? Das habe ich zu meinem Arzt auch gesagt. Als er dann eine Woche später mit einem halben Dutzend Kollegen bei uns war, schwirrte mir vor Zahlen der Kopf. Mein erster Gedanke: Das ist doch völlig bescheuert! Kompliziert! Irreführend! Bürokratisch! Ich wusste zu diesem frühen Zeitpunkt (Februar 2007) noch nicht, was EBM ist: der
Verdunkelungsmechanismus der Black Box
. Arzt und Patient sollen komplett den Überblick über die Relation zwischen Bezahlung und Leistung verlieren. Bei Privatpatienten ist der Vorgang ja ganz einfach: Es kommt die Gebührenordnung für Ärzte zum Tragen. Ich erhalte eine Rechnung, ich kann sie nachprüfen, und die Versicherung zahlt. Der EBM hingegen, der für alle Kassenpatienten zur Anwendung kommt, ist ein äußerst kompliziertes, völlig verschachteltes Verteilungssystem eines vorher festgelegten Gesamthonorarvolumens auf verschiedene Ärzte! Das Ganze wird dann noch durch ein Praxisbudget »gedeckelt«, und die vom Arzt gegenüber derKV abrechenbaren Punkte werden für jede Praxis von der KV festgelegt. Im Endeffekt bedeutet das Punktesystem dann: Tatsächlich erbrachte Leistungen, die über das Praxisbudget hinausgehen, werden nicht vergütet. Nehmen wir wieder den Mann mit der Rohrzange. Sagen Sie ihm: Jetzt bauen Sie mal noch ein Fallrohr an die Fassade, ich habe ja einen Pauschalbetrag mit Ihrer Firma vereinbart – ich sage Ihnen aber gleich, ob das noch vergütet wird, entscheidet sich nach Weihnachten. Da fällt die Rohrzange auch noch auf den anderen Fuß.
GOÄ – von Ordnung keine Spur!
Der Staat legt eine amtliche Gebührenordnung für Ärzte fest: Diese nennt man GOÄ! Für das Jahr 2008 umfasst sie für Privatpatienten 850 Seiten! Dazu kommt der einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM) für Kassenpatienten mit 1166 Seiten. Diese beiden monströsen Abrechnungssysteme hält nur der
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