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Der verkaufte Patient

Titel: Der verkaufte Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Hartwig
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würde (das sind in dem Fall ca. 10 Euro), wäre das fairer gegenüber Arzt und Patient. Der Arzt weiß, was er für die Behandlung bekommt, und am Ende des Quartals wird genau wie bei den beiden anderen Versicherten zusammengezählt und abgerechnet! Weshalb haben wir Patienten nie erfahren, wie kompliziert diese Abrechnungsmodalitäten sind? Damit wir uns nicht dagegen wehren? Weil die Politiker uns für dumm verkaufen? Oder weil wir, einmal mehr, einfach akzeptieren, was mit uns getrieben wird!
    Diese kleine Betrachtung hat nur ein Ergebnis: Der ganze bürokratische Wasserkopf führt sich selbst ad absurdum.
Praxis zu! Es wird abgerechnet!
     
    Jedes Vierteljahr bekommt die regionale kassenärztliche Vereinigung von allen Kassenpatienten der letzten drei Monate den Namen, die Diagnosen und die erbrachten Leistungen, versehen mit der EBM-Ziffer. Diese Abrechnungsmodalitäten sind mit einem so hohen organisatorischen Aufwand verbunden, dass Praxen oft über Tage schließen müssen. In der Kassenärztlichen Vereinigung wird nun nach noch etwas komplizierteren Regeln das Geld, das ihr von den Krankenkassen zur Verfügung gestellt wird, den verschiedenen Fachgruppen (Hausärzte, Fachärzte, Kinderärzte …) zugeteilt. Diese Töpfe sind mit wechselnden Geldmengen gefüllt. Jeder niedergelassene Kassenarzt erhält eine vierteljährliche Abschlagszahlung, und erst nach vielen Monaten erfährt er über einen Wust von Papieren, was er pro Patient für seine Leistungen wirklich erhält.
Leistung wird bestraft
     
    Es klingt kurios, aber es ist so eingerichtet: Je öfter ich als Kassenpatient zu meinem Arzt komme, desto weniger verdient mein Arzt. Hat er die vierteljährliche Grundpauschale abgerechnet, geht jeder weitere Arztbesuch von mir auf seine Kosten, es sei denn, er rechnet irgendwelche spezifischen Leistungen ab, für die es wie in der ersten Klasse »Pünktchen« gibt. Nur Notdienst, Hausbesuch, Ultraschall, Belastungs-EKG, Impfungen können noch extra abgerechnet werden. Weiß man, dass der weitaus überwiegende Teil von Diagnostik und Anamnese eigentlich aus Gespräch und Beobachtung besteht, indem der Arzt also durch seine offenen Augen, seine taktilen Fähigkeiten, sein Gehör (und oft genug auch seine Nase) feststellt, was ist, so wird es spannend. Denn all dies wird nicht mehr honoriert. Besser für den Doc, er macht noch ein EKG oder eine Ultraschalluntersuchung. Ist zwar diagnostisch häufig völlig überflüssig – aber dabei kann der Arzt wenigstens honoriert mit mir reden, wenn sein Budget nicht überschritten ist.
    Die Patienten, die das umfangreiche Gespräch mit einem Arzt brauchen, weil sie ein Suchtproblem haben, einen längeren Krankheitsverlauf erzählen müssen oder auf eine bestimmte komplexe Diät eingestellt werden, sind auch schlecht bedient. Eigentlich müsste der Arzt, der sich ihnen aufmerksam zuwendet, alle drei Minuten auf die Uhr schauen. Eine schwerkranke Freundin sagte mir: »Mein Arzt ist zwar klasse. Er gibt mir das Gefühl, jede Zeit der Welt zu haben. Aber mich blockiert es, wenn ich weiß, im Hintergrund läuft der Ticker der Kasse.« Und da spätestens sind wir an dem Punkt, an dem die skandalösen Abrechnungsmodalitäten der Kassenärztlichen Vereinigungen
mich als Patientin
betreffen. Ich zahle Monat für Monat jede Menge Geld für meine Krankenversicherung und muss es mir nicht gefallen lassen, wenn Funktionäre meinen Arzt mit einem albernen Pünktchengetueökonomisch fernsteuern und ihn via Geldhahn zu inadäquatem diagnostisch-therapeutischem Tun verleiten wollen.
Trickreiche Ärztefrauen – oder was?
     
    Nun denkt sich so mancher Patient: »Gott sei Dank, bei dem ist die Praxis voll – das holt der Arme doch locker mit seinen vielen Patienten wieder auf!« Falsch: Denn nur bis 800 Patienten im Quartal wird das oben genannte Geld bezahlt. Für 801 bis 1200 Patienten gibt es 20 % weniger und ab 1201 Patienten nochmals 30 % weniger. Erwirbt sich der Doktor einen guten Ruf, sprechen sich seine Qualitäten herum, hat er ein Problem. Er sollte schnellstens das Wartezimmer verkleinern, die Sitzpolster abmontieren, die Sprechzeiten halbieren, stundenweise abtauchen. Sonst kommt ihn sein guter Ruf teuer zu stehen. Er könnte wegen Patientenandrang Leistungen erbringen, die über den Standard hinausragen – ein strafwürdiges Vergehen!
    Man müsste der Sache einmal auf den Grund gehen. Wahrscheinlich ist die 800-Patienten-Regel auf den Einfluss missgünstiger Ehefrauen

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