Der verkaufte Patient
Interventionen waren nicht mehr erforderlich, und Herrn S. blieben Krankenhausaufenthalte erspart.« Ich kann es nicht beweisen, aber ich habe den Eindruck: Das Einzige, was hier ausgepresst wurde, waren wir – die Beitragszahler der gesetzlichen Krankenkasse. Für chronisch Kranke ist der Nutzen solcher Programme kaum zu erheben. Es geht auch gar nicht um treusorgende Maßnahmen für die armen Kranken. Es geht um Politik.
Zunächst aber entstehen einmal Kosten: Beobachter der Szene erwarten von DMP schlicht und ergreifend eine weitere Aufplusterung des Apparats mit geschätzten Bürokratiekosten in drei Jahren von bis zu 3 Milliarden Euro. Damit man das nun nicht einfach für eine weitere Spinnerei des etwas technikverliebten Dr. Lauterbach (SPD) hält, muss man das Kassengerangel im Hintergrund kennen. Nachdem sich aufgrund neuer Gesetzeslage eine Vielzahl neuer Kassen am Markt etablieren konnten, die den Klassikern die attraktiven jungen Patienten wegnahmen und sie mit dem »kranken Rest« zurückließen, kam es zum berühmten Risikostrukturausgleich zwischen den Kassen. Der Hausarzt, der nun über das DMP-Programm der Kasse mit dem »kranken Rest« ein »Risiko« meldet, spült ihr per Risikostrukturausgleich ein hübsches Sümmchen Geld in den Topf. Die Kasse erhält zum Beispiel für jeden Diabetiker, der am DMP teilnimmt, rund 5000 Euro.
Fazit: Berge kreißen. Geboren wird ein Mäuschen. Es wird alles komplizierter. Neue Bürokratien werden geschaffen. Und letztlich ist es ein Refinanzierungstrick für benachteiligte gesetzliche Krankenkassen.
Pünktchen für Pünktchen wird umgebaut.
Wer hat was davon?
Sie dürfen sicher sein: Hier tobt sich nicht etwa eine losgelassene parkinsonsche Bürokratie aus, die auf komplexe Maßnahmen für unterbeschäftigte Buchhaltungsabteilungen aus ist. Hier ist was faul im Staate Deutschland. Wer so abrechnet, hat ein
Motiv
.
Nicht in amerikanischen Filmen, sondern durch meine Biographie habe ich gelernt, dass man nach dem Motiv immer bei denen suchen muss, die einen Vorteil von einem bestimmten auffälligen, durch sie bewirkten Arrangement der Wirklichkeit haben.
Wer hat was davon?
Das war und ist stets meine erste Frage. Also – wer hat was davon, dass die Black Box so eingerichtet ist, wie sie ist: unnahbar, unkontrollierbar, uneinsehbar?
Man muss sich nur die Verwaltungssitze unserer Kassen und Kassenärztlichen Vereinigungen ansehen, die es an Chrom und Glas jederzeit mit dem arroganten Protz unserer Banken und Versicherungen aufnehmen können. Sie sind nur die Verteilerdose, der (wiederum aus bestimmten Motiven) niemand auf die Steckverbindungen schaut. Aber sie tun (schon heute) so, als seien sie großkapitale Renditebringer, Schöpfer eigener Werte und Produzenten von etwas, das in sich einen Wert hat. Auf jeden Praxisarzt kommt mehr als ein Kassenmitarbeiter. Die Verwaltungskosten der gesetzlichen Krankenkassen liegen offiziell bei 8,1 Milliarden Euro. 6,4 Milliarden waren es vor 10 Jahren. Achtung! Wie viele Gelder in Projekten und Beratungshonoraren versenkt werden, wird nirgends aufgeschlüsselt. 2007 nahmen die Kassen mehr als 155 Milliarden Euro ein. Übrigens 30 Milliarden mehr als vor 10 Jahren. Die Einnahmen sind definitiv stetig gestiegen und nicht gesunken. Nur das, was bei uns als Zuteilungsmedizin ankommt, wird immer weniger. Vielfach sind es die Kassen- und KV-Fürsten selbst, die sich die Verwaltung dieses bürokratischen Wasserkopfes versilbern, oft sogar vergolden lassen.Und im Dunkeln, dort, wo Ärzte und Patienten partout nicht hinschauen sollen, tun sich noch ganz andere Quellen auf – für die, die nahe genug dran sitzen. Wie sich gleich zeigen wird …
KAPITEL 10
Raus aus dem System! – oder: Der Aufstand der Ärzte
Ä rzte sind normalerweise bodenständige, dem Staat verbundene Bürger. Sie krakeelen nicht, gehen nicht auf die Straße, zetteln keine Revolutionen an. Sie suchten immer nach dem Ausgleich, dem Arrangement mit den Verhältnissen; sie wollten immer eher in Ruhe ihrer heilenden Berufung nachgehen, als Rabatz zu machen und zu verletzen. Bis Ärzte einmal die Brandfackel anstecken, muss viel passieren. Aber nun scheint es so weit zu sein. Ärzte machen mobil, gehen auf die Straße, treten eine Revolte los. Was ist passiert? Niedergelassene, freie Ärzte fühlen sich dem Würgegriff von Politik und Gesundheitsindustrie ausgesetzt. Es geht – sagen sie – um ihre nackte ökonomische Existenz.
Was sie sagen, stimmt.
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