Der verkaufte Patient
zurückzuführen. Freie, niedergelassene Ärzte sind – eine Weltneuheit – der erste Berufsstand, bei dem Ehepartner bei Ebbe in der Haushaltskasse sagen können: »Aha – hast du wieder zu viel gearbeitet!?« Das erhöht die Verweildauer in der Wohnküche.
Wo das Geld hingeht
Seit zehn Jahren baut die Politik mit unseren Versichertengeldern in der Kassen-KV-Black-Box systematisch das Solidarsystem um. EBM2000
plus
ist gleichzeitig 1. ein
Dehonorierungsverfahren
für klassische ambulante Leistungen von freien, niedergelassenen Ärzten, wie es 2. ein
Dequalifizierungsverfahren
dieser Einrichtungen ist (die Leute sollen sich sagen: »Was können die denn noch!«) und es 3. die Mimikry der gigantischen
öffentlichen Geheimspardose
für Dinge ist, von deren kostenträchtigen Folgen tunlichst weder Patienten noch Ärzte allzu viel allzu früh erfahren sollen.
In Tateinheit mit dem Einhämmern neuer Schlagworte wie Integrierte Versorgung, Wettbewerb, Qualitätssicherung, Eigenverantwortung, Effizienz, Care- und Casemanager (zu Deutsch: Betreuungs- und Fallmanager) wird die Gesundheitsszenerie der Zukunft vorbereitet. Das Wettbewerbstärkungsgesetz macht aus Kassen verlockende Spaß- und Wellnessbuden, die sich mit Lockangeboten und Locktarifen gegenseitig die Klientel abspenstig machen und manchmal nicht einmal vor Handgeld bei Kassenwechsel zurückschrecken. Es geht zu wie auf dem Spielermarkt kurz vor Start der Bundesliga. Millionen fließen in Projekte, mit denen Fitness- und Wellness-Angebote bezuschusst werden. Es gibt sogar Kassen, die Wellness-Reisen ins EU-Ausland finanzieren. Wie viel die Kassen tatsächlich für Werbung aufwenden, ist unklar, wird bilanztechnisch mehr oder weniger geschickt verborgen. Das Kassenhopping, um günstigere Beiträge zu erhaschen, entzieht bereits jetzt jährlich dem Solidarsystem bis zu 1 Milliarde Euro. Die Bundesregierung weiß dies alles, ändert jedoch nichts. Ulla Schmidts Rezept steht fest. Mit der Monotonie einer kaputten Schallplatte wird uns eingebleut: Die »Integrierte Versorgung« muss kommen. Um jeden Preis! Alles aus einer Hand! Kaisers Permanente lässt grüßen.
Lutschbonbons für Herrn S.
»Ob sich ein Mensch ohne Phantasie die Wirklichkeit vorstellen kann?« (Stanislaw Jerzy Lec). Rund um ein bestimmtes Stichwort, nämlich »DMP«, kann man eine Menge studieren: Sowohl die Art, wie unser Geld sinnlos durch die Gegend geschoben,wie auch die Tatsache, dass es als strategisches Mittel von der Politik eingesetzt wird und die Gesundheitspolitik dafür sorgt, dass die gesetzlichen Krankenkassen mit allerhand geschickten Maßnahmen genuin ärztliche Aufgaben auf sich ziehen, damit den Patienten an sich binden und so tun können, als würde man damit Kosten sparen und den Hausarzt ein bisschen entlasten.
DMP (= Disease-Management-Programm) bezeichnet die Behandlung von Patienten anhand standardisierter Vorgaben in Bezug auf einige klassische Krankheitsbilder (Diabetes, Herzinsuffizienz, Asthma etc.). Der Arzt bekommt, bewegt er einen Patienten mit einem bestimmten Krankheitsbild zur Teilnahme an DMP, von der Kasse ca. 50 Euro, die sich zusammensetzen aus einer Erst- und Folgedokumentation sowie Beratungen im Rahmen der Einschreibung. Der Patient wird mit Erlass der Praxisgebühr, in manchen Kassen sogar mit einem Geldschein in dieses DMP gelockt.
Wie das in der Praxis aussieht, entnehme ich der einschlägigen Homepage eines Anbieters: »Durch eine regelmäßige Erfassung des Gewichts lassen sich Wassereinlagerungen schnell erkennen. Wir stellen Ihren Versicherten telemedizinische Waagen zur Verfügung, die das Gewicht per Modem an unser Medizinisches Servicecenter übertragen, so dass unsere Betreuer sofort reagieren können. ArztPartner Almeda fokussiert eine leitliniengerechte Therapie, Medikamenten-Compliance sowie Änderung eines ungesunden Lebensstils hinsichtlich Ernährung und Bewegung.« Big Brother is watching you. Es rührt zu Tränen, zu welchen kostengünstigen Medikationen der Anbieter bei Herrn S. (»67 Jahre, ist seit 6 Monaten im Programm«) gekommen ist: »Unsere Empfehlung lautete: aus 1 Liter Wasser und dem Saft von 2 ausgepressten Zitronen handliche Eiswürfel herstellen und diese Eiswürfel bei großem Durst langsam im Mund zergehen lassen. Herr S. ging auf den Vorschlag ein. Er wandelte das Rezept nach seinem Geschmack um, fügte noch etwas Johannisbeersaft hinzuund hielt sich für den Rest des Sommers an die Flüssigkeitsbeschränkung.
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