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Der verkaufte Patient

Titel: Der verkaufte Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Hartwig
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Der freie, niedergelassene Arzt soll abgeschafft werden. Seine Eliminierung ist längst beschlossene Sache, beschlossen vom Dreigestirn der Vollstrecker – Politik, Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigungen. Um dieser Hinrichtung zu entgehen, greifen die freien, niedergelassenen Ärzte – unter ihnen an prominenter Stelle die bayerischen Hausärzte – zu einem letzten verzweifelten Mittel: dem gemeinsamen Ausstieg aus der Zwangsmitgliedschaft in den Kassenärztlichen Vereinigungen, der Rückgabe der kassenärztlichen Zulassung.
»Ausstieg« heißt …
     
    »Ausstieg« heißt: Ärzte einer Region hinterlegen bei einem Treuhänder (Anwalt) heimlich eine schriftliche Absichtserklärung,dass sie ihre Kassenzulassung zurückgeben wollen, sofern auch eine große Menge von Kollegen (etwa 70 %) dies auch tun. Das ist der berühmte »Korb«, von dem man in den Zeitungen liest. Ist der Korb voll, also sind beispielsweise 70 % erreicht, könnte das sogenannte Systemversagen festgestellt werden. Die Kassenärztliche Vereinigung, deren Aufgabe es ist, die ärztliche Versorgung einer bestimmten Region sicherzustellen, müsste eingestehen, dass sie eine flächendeckende ambulante Versorgung nicht mehr gewährleisten kann. Ausreichend viele Ersatzärzte einzufliegen dürfte auch unmöglich sein. Der Sicherstellungsauftrag geht an die Kassen über, die sich etwas einfallen lassen müssen. Die Ärzte würden sich in diesem Fall mit den Kassen direkt verständigen und neue Lösungen finden, mit denen sie besser leben können als unter der erdrückenden Knute der KVen. Der Patient würde im Idealfall von dem Gezerre hinter den Kulissen überhaupt nichts merken.
Staatliche Kulissenschieber
     
    30. Januar 2008: Mehr als 7000 Hausärzte versammeln sich in der Nürnberger Arena, um über ihren Systemausstieg zu beraten. Ein Anwalt und Notar aus Kiel wird eingeflogen. Weshalb von der Waterkant? Gibt es vor Ort keine qualifizierten Juristen? Doch, die gibt es. Notare in Bayern unterstehen dem bayerischen Justizministerium. Doch die Uhren im Freistaat gehen einfach anders. Oder vielmehr die politischen Gepflogenheiten. Den Damen und Herren an der Staatsspitze passt nämlich nicht, dass sich die Ärzteschaft da formiert, dazu noch unmittelbar vor den Kommunalwahlen im März und der Landtagswahl im Herbst. Doch wie soll man den Hausärzteverband und seine Mitglieder stoppen? Erster Versuch: Das bayerische Justizministerium tritt in Aktion, von wem auch immer aufgefordert. Es ergeht eine Anordnung an die Notariatskammer mit dem Hinweis, dass der von den Hausärztenausgesuchte bayerische Notar den Systemausstieg aufgrund der Gesetzeslage (SGB V) nicht begleiten darf, will er seine berufliche Existenz nicht gefährden. Der Notar kündigt kurz vor dem Ärztetreffen sein Mandat auf. Ihm ist die ministerielle Warnung, er beteilige sich an einer Rechtswidrigkeit, zu heikel, obwohl er dies nicht nachvollziehen kann. Recht hatte er damit. Dieser Warnhinweis aus dem Haus der promovierten Juristin und CSU-Ministerin Beate Merk entbehrt jeder Grundlage. Den Ärzten ist es laut Sozialgesetzbuch durchaus gestattet, ihre Kassenzulassung zurückzugeben. Dort heißt es in § 95b nur: »Mit den Pflichten eines Vertragsarztes ist es nicht vereinbar, in einem mit anderen Ärzten aufeinander abgestimmten Verfahren oder Verhalten auf die Zulassung als Vertragsarzt zu verzichten.« Wo steht da etwas von rechtswidrig? Nirgends. Dann kann auch ein beamteter bayerischer Notar wohl nicht gegen Gesetze verstoßen, wenn er die Ausstiegserklärungen entgegennimmt und treuhänderisch verwaltet. Ein Blick ins Notariatsgesetz genügt, um festzustellen, dass dies sogar zu seinen ureigenen Aufgaben gehört.
    Was steckte also hinter dem Drohbrief aus dem Münchner Justizpalast? Ich wollte es wissen. Deshalb besuchte ich am 7. Februar 2008 das traditionelle »Ascherdonnerstagstreffen« der Neu-Ulmer CSU. In einem Sechs-Augen-Gespräch am Rand der Veranstaltung fragte ich Frau Dr. Merk nach den Beweggründen. Antwort: Sie habe den Auftrag, ihre Notare zu schützen. Doch wovor nur? Sie wich mir aus. Mein Fazit der Maßnahmen gegen die Hausärzte: Die Staatsregierung wollte das Treffen mit allen Mitteln vereiteln.
    Nun bestehen unter Juristen erhebliche Zweifel, dass der § 95b überhaupt mit dem Grundrecht auf freie Berufsausübung vereinbar ist. Doch davon einmal abgesehen: Wenn Ärzte, mit oder ohne Verband, ihren Kassenvertrag kündigen, verhalten sie sich nie und

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