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Der verkaufte Patient

Titel: Der verkaufte Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Hartwig
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Chance, dass Politik und Gesellschaft einen neuen Blick auf das Gesundheitswesen einnehmen: nicht mehr nur als Kostgänger, sondern als einen gigantischen Wirtschaftszweig, in dem 10 Prozent des Sozialprodukts erwirtschaftet werden und in dem über vier Millionen Menschen beschäftigt sind.« Der bayerische AOK-Chef Platzer prophezeite bereits im November 2003: »Der Gesundheits-Dienstleistungs-Broker ist ein Job mit glänzenden Perspektiven.«
    Es ist dieser Wechsel von Gesundheit als sozialem Auftrag hin zu Gesundheit als Wirtschaftsfaktor, der die freien, niedergelassenen Ärzte zum Abschuss freigegeben hat. Noch vor ein paar Wochen dachte ich: Es ist wie bei den Tante-Emma-Läden. Als die Discounter kamen, war für sie kein Platz mehr. Aber es ist noch ganz anders: Freie, niedergelassene Ärzte sind nicht nur Konkurrenten, die in einem freien Markt ein Stück vom Kuchen beanspruchen, das ihnen die große Gesundheitsindustrie nicht gönnen will. Die Ärzte stören in einer viel fundamentaleren Weise. Sie sind der unberechenbare Faktor X. Sie torpedieren die Idee, das Gesundheitswesen ließe sich als Markt strukturieren. Sie behindern den absoluten Zugriff der Investoren auf das Renditeobjekt Mensch. Sie sind die skandalösen Unterbrecher eines vollständigen Wertschöpfungskreislaufs. Der Kreislauf kann nur Zahnräder gebrauchen, damit eines ins andere greift. Ein Arzt, der sich von niemand in der Welt beeinflussen lässt und einzig und allein kraft seines Gewissens für seine Maßnahmen einsteht – das ist die Provokation schlechthin. Ärzte, die sich als Anwälte von Patienten verstehen, ihnen – altes Wort – gar
dienen
wollen, wechseln die Seiten. Sie sind der Feind.
    Das System schlägt zurück. Es lässt nur eine Alternative zu:
anpassen
oder
ausschalten
. Darüber möge sich kein Arzt täuschen: Solange die Politik Stück für Stück das gesamte Gesundheitswesen dem freien Markt ausliefert, wird es niewieder eine Nische für den Arzt klassischer Prägung geben. Entweder er setzt das Käppi auf und spielt mit – oder er ist für immer weg.
Wie man die Ärzte in die Knie zwingen will
     
    Verantwortlich für die Malaise sind die Kassenärztlichen Vereinigungen. Die KVen bevormunden die Ärzte wie eine Domina ihre Kunden; sie drohen mit Liebesentzug, spenden süße Gaben oder geben die Peitsche. Jahrelang brauchten die Ärzte das wohl, denn sie haben sich das frivole Spiel namens EBM durchaus gefallen lassen. Gemeint ist damit das bereits beschriebene Punktesystem, das statt eines leistungsgerechten Honorars in den Praxen eingeführt wurde. Mittlerweile gräbt sich das EBM-Halsband so tief in den Hals, dass der Masochismus lebensgefährlich wird. Die Ärzte bekommen keine Luft mehr. Über EBM lässt man die selbständigen Arztpraxen finanziell ausbluten, ja der gesamte ambulante Medizinsektor wird mit List und Tücke in ein profitables Geschäftsfeld für Konzerne umgewandelt – und dabei greifen nun die Kassen ein.
    Auch sie spielen mit politischer Rückendeckung das Spiel gegen die freien, niedergelassenen Ärzte. Es fließen inzwischen nur noch 15 % der Kassenbeiträge von gesetzlich Versicherten in die ambulante ärztliche Versorgung. Die DAK – um nur ein Beispiel zu nennen – arbeitet nicht für, sondern gegen die freien, niedergelassenen Ärzte; sie hat ab 1. 1. 2008 für Bayern und Baden-Württemberg einen Vertrag mit der amerikanischen Healthways AG abgeschlossen und lässt chronisch Kranke per Callcenter betreuen. Ersatz für den Hausarzt? Dieselbe Kasse betreibt Patientenausforschung über Fragebogen (der DAK-Bogen vom 12. 2. 2008 liegt mir vor). Sind wir schon so weit wie in den USA, wo Ablehnungen von Kostenübernahmen mit Fehlern im Fragebogen begründet wurden?Längst ist der Arzt nur Bittsteller bei den Kassen, statt als fairer Partner wahrgenommen zu werden.
    Entgegen aller Beteuerung betreibt die Politik das Ende des freien, niedergelassenen Arztes: Anstatt die freie Arztwahl, die Therapiefreiheit und ein vertrauensvolles Arzt-Patienten-Verhältnis zu schützen, ist die Gesundheitspolitik auf dem Weg, dies alles zu vernichten. Selbständige Arztpraxen werden durch Überregulierung und eine vertrackte Attacke namens »Qualitätssicherung« zu bürokratischen, nicht mehr steuerbaren Monsterunternehmen. Die Therapiefreiheit wird unterminiert und abgeschafft. Praxen werden durch Strafzahlungen für verordnete Medikamente in die Pleite getrieben. In Summe gibt esbedingt durch

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