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Der Verlobte

Der Verlobte

Titel: Der Verlobte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Sylvester
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sich nur etwas in der Wanne entspannen«, sagte sie mit leerem Blick. »Und ich hatte ein Nickerchen gemacht, und dann finde ich sie so …«
    »Kommen Sie, wir bringen Sie nach unten«, sagte Tillmann.
    Bert und er stützten die schrille Dame die Treppen hinunter und begleiteten sie in den Salon. Tillmann schob sie sanft in den Sessel, in dem zuvor Mama-Lou gesessen hatte, und drückte ihr das noch halbvolle Glas Whisky in die Hand. Bert zog einen weiteren Sessel heran und legte ihre Beine hoch. Elisabeth starrte geistesabwesend vor sich hin und trank.
    »Sie hat einen Schock«, sagte Bert.
    »Sie … ist … einfach … abgesoffen«, stammelte Elisabeth. Dann trank sie das Glas in einem Zug leer, lehnte sich im Sessel zurück und schloss die Augen.
    » Einfach abgesoffen ist gut«, sagte Bert kehlig. »Da hat jemand nachgeholfen. Kein Mensch von Tante Lilos Größe schläft in einer Wanne ein und ertrinkt.« Er lachte bitter auf. »Man hat ihr die Beine weggezogen und gewartet, bis sie tot war.«
    Tillmann bemerkte, dass er schon die ganze Zeit unwillkürlich den Kopf schüttelte. Er konnte einfach nicht begreifen, was hier passierte. Nichts daran passte zusammen. Nichts ergab einen Sinn. Immerhin war das hier ein Familienwochenende. Natürlich gab es in jeder Familie Geheimnisse und ungeahnte Abgründe. Im Grunde verkörperte er selbst einen von ihnen. Aber hier schienen sich alle gegenseitig umzubringen. Das war irrwitzig! Vollkommen krank! Und wo steckte eigentlich Lilly? In was für eine Situation hatte sie ihn hier gebracht?
    »Lilly!«, rief Tillmann aufgebracht. »Lilly, komm her, wir müssen reden!«
    »Psst!« Bert legte ihm beschwichtigend die Hand auf die Schulter und reichte ihm ein Whiskyglas. »Ganz ruhig, mein Lieber.«
    Tillmann griff nach dem Glas und nahm einen tiefen Schluck. »Haben Sie Fritz denn gefunden?«, fragte er.
    »Ja.« Bert nickte langsam. »Erst bin ich den Abhang hinuntergekraxelt und dann den ganzen Weg wieder zurück.«
    »Und?« Tillmann sah ihn ungeduldig an.
    »Er lag tatsächlich da unten«, sagte Bert seufzend. »Und der Jeep auch. Nur leider lag der Jeep auf ihm drauf. Von Fritz ist nicht mehr viel übrig.«
    »Oh, mein Gott!« In seinem Entsetzen vergaß Tillmann sogar seine atheistische Geisteshaltung. Einen Moment lang war er wie erstarrt. »Ich muss zu Lilly!« Er wollte aus dem Raum stürmen, doch Bert hielt ihn zurück.
    »Halt! Langsam!«, rief er. »Sie weiß doch noch gar nichts. Ich bin ja gerade erst wiedergekommen.«
    »Haben Sie den Unfall denn gemeldet?«, fragte Tillmann.
    »Ich habe es versucht«, erklärte Bert. »Ich hatte auch ein Netz, aber ich konnte niemanden erreichen. Nicht einmal den Notruf.«
    »Warum haben Sie ihn denn nicht mitgebracht?«, fragte Tillmann aufgebracht. »Vielleicht hätte man …«
    »Wie denn?«, höhnte Bert bitter. »Hätte ich mir seine Einzelteile aufs Motorrad schnallen sollen?« Er schüttelte den Kopf. »Außerdem bin ich bei diesem Sauwetter froh, dass es mich nicht selbst von der Straße gefegt hat.«
    Tillmann trank grübelnd vor sich hin. Sein Kopf fühlte sich hohl und leer an.
    »Was ich allerdings merkwürdig finde«, hob Bert an, »Mama sagte doch, sie habe Leopolds Jeep dort unten gesehen …«
    »Ja, und?«, fragte Tillmann mechanisch.
    Bert legte die Stirn in Falten. »Von der Straße aus und bei dem Regen konnte man gar nichts erkennen.«
    Tillmann nahm noch einen letzten Schluck Whisky und hatte nicht übel Lust, das leere Glas in die Scheiben der Flügeltür zu donnern, als er einen Schatten dahinter wahrnahm.
    »Da ist jemand im Speiseraum!«, rief er und lief zur Tür. Sie war verschlossen.
    »Außen rum!«, rief Bert und stürmte hinaus in die Halle.
    Tillmann rannte hinter ihm her. Doch als sie im Speisezimmer ankamen, deckte dort nur eines der Dienstmädchen den Tisch für das Abendessen.
    Auf Tante Lilos Platz lag ein Briefkuvert.
    »Wer hat das dort hingelegt?«, fragte Bert und deutete auf den Brief.
    Das Dienstmädchen zuckte mit den Schultern.
    »Haben Sie jemanden herein- oder hinausgehen sehen?«, hakte Tillmann nach.
    Das Dienstmädchen zuckte erneut mit den Schultern. »Nein, das lag schon da, als ich kam«, sagte sie und wandte sich zum Gehen.
    »Halt! Warten Sie!« Tillmann versperrte ihr den Weg. »Sie sagen uns jetzt sofort, wer zuletzt in diesem Raum war!«
    Das Dienstmädchen senkte den Blick. »Ich darf nicht mit Ihnen sprechen«, sagte sie leise und eindringlich. »Bitte lassen Sie mich!

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