Der Verlobte
weiter. »Paul, nicht wahr? Er ist doch sonst immer da, wenn es etwas zu feiern gibt.«
»Der muss das Bett hüten.« Der Großvater klang gereizt. »Er hat Halsprobleme.«
Ein makabres Lächeln huschte über Elisabeths Gesicht. »Ja, ja, das kommt von zu vielen schneidenden Bemerkungen«, sagte sie.
Clara wirkte enttäuscht. »Jetzt sagt nicht, meine Lieblings-Lilo ist auch krank geworden!«
»Doch«, sagte Bert lakonisch. »Sie kann im Moment das Badezimmer nicht verlassen.«
»Magendarmgrippe?«, rief Clara. »Na, hoffentlich hat sie euch nicht angesteckt!«
»Das hoffen wir«, presste die Großmutter hervor. »Und dass Fritz einen Unfall hatte, hast du ja mitbekommen.«
»Oh ja«, sagte Clara. »Ist ja auch ein fürchterliches Wetter da draußen. Geht es ihm schon besser?«
»Oh, aber sicher«, antwortete Onkel Leopold schnell. »Schon viel besser.«
Tillmann sah, dass Lilly stoisch lächelte. Das musste an den Medikamenten liegen. Was hatte ihr dieser Leopold nur gegeben? Oder nahm sie vielleicht Drogen?
»Können wir Fritz denn morgen besuchen?«, fragte Clara eifrig.
»Au ja«, feixte Bert. »Am besten alle auf einmal.«
»Bert, bitte!«, ermahnte ihn die Großmutter.
Bert grinste süffisant. »Wer weiß, vielleicht sind wir alle schneller bei ihm als uns lieb ist?«
»Schluss jetzt!«, donnerte der Großvater. »Wo bleibt denn der Rotwein? Ich hatte Rotwein zum Essen verlangt!«
Mama-Lou spielte mit ihrem leeren Glas. »Ich will auch Rotwein«, sagte sie schmollend.
»Ach, du trinkst doch sowieso alles, was du bekommen kannst, Louise.« Der Großvater klang verärgert.
»Wo bleibt denn Ludger?«, rief Clara. »Wir können doch nicht ohne ihn anfangen!«
»Clara, bitte beruhige dich«, verlangte die Großmutter.
»Ich will aber nicht ohne Ludger essen«, sagte Clara mit enttäuschtem Gesicht.
»Mama, ist ja gut.« Bert tätschelte seiner Mutter genervt die Hand.
Clara entzog ihm ihre Hand und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ihr habt ihn gar nicht eingeladen«, stieß sie wütend hervor. »Ihr wollt ihn nicht hier haben!« Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Jetzt geht das Theater wieder los.« Der Großvater machte eine unwirsche Geste und erhob sich. »Ich kümmere mich mal um den Wein.« Er klopfte Onkel Leopold auf die Schulter. »Sorge du bitte dafür, dass Clara mit ihrem Gezeter aufhört!« Er verließ den Raum.
»Wo geht er denn hin?«, fragte Mama-Lou.
»Er holt Wein aus dem Keller«, antwortete die Großmutter.
»Ach, da ist noch mehr?«, fragte Mama-Lou mit unverhohlenem Interesse.
»Ja, Louise, da ist noch mehr«, antwortete die Großmutter. »Außerdem sind da noch Spinnen und Mäuse und Ratten.«
»Igitt!«, rief Mama-Lou.
»Ich will, dass Ludger kommt! Jetzt! Sofort!«, schimpfte Clara heulend. Unvermittelt sprang sie auf und stieß dabei ihren Stuhl um. »Ihr Schweine! Was habt ihr mit Ludger gemacht?«
Bert sprang ebenfalls auf und versuchte seine Mutter festzuhalten. Doch sie riss sich los und schrie wie am Spieß. »Ludger!!! Ludger!!!«
Dann schien sie in sich zusammenzusacken, von Heulkrämpfen geschüttelt stammelte sie immer wieder: »Ludger, mein Ludger, mein …«
Erst jetzt bemerkte der irritierte Tillmann, dass Onkel Leopold bereits mit einer aufgezogenen Spritze wartete. Sobald Bert seine Mutter wieder auf ihren Stuhl befördert hatte, verabreichte Onkel Leopold ihr das Medikament, vermutlich ein Beruhigungsmittel.
Alle sahen bestürzt auf Clara. Alle außer Lilly, die versonnen lächelnd an ihrem Aperitif nippte. Sie schien vor sich hin zu träumen.
Claras Atem beruhigte sich zusehends. Als sie den Kopf hob, war die verlaufene Wimperntusche die einzige Spur ihres heftigen Anfalls. Onkel Leopold zückte ein Taschentuch und wischte ihr fürsorglich die schwarzen Streifen aus dem Gesicht.
Die Großmutter seufzte leise.
»Ludger! Endlich!« Clara klammerte sich mit beiden Händen an Onkel Leopold. »Wie gut, dass du da bist!«
Onkel Leopold setzte sich neben Clara an den Tisch.
»Komm, lass uns anstoßen, Ludger«, sagte Clara und erhob ein leeres Glas. »Schau mal, es sind schon alle da. Unser kleiner Berti, die Oma, dann Lilly mit ihrem Freund, die komische Louise, ihr Mann ist leider im Krankenhaus. Der Opa holt noch etwas aus dem Keller, und dein seltsamer Bruder ist bestimmt nur kurz zu seiner kranken Tochter gegangen. Übrigens Lilo, deine Lieblingsschwester, ist auch krank, musst du wissen, und dann …« Sie sah Elisabeth an.
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