Der Verlobte
eigentlich aus Ihrem Polizei-Vorhaben geworden?«, fragte Bert Tillmann mit süffisantem Grinsen. »Vielleicht lauert da unten im Keller ja nur das bestellte Sondereinsatzkommando.«
Tillmanns Blick streifte Lilly, die unbeteiligt wirkte. Dann sah er Bert forschend an. »Es gibt hier wohl jemanden, der nicht will, dass ich zur Polizei fahre.«
Der Großvater erhob sein Glas. »Polizei, so ein Blödsinn! Diese Versager kommen mir nicht ins Haus!«
»Aber …«, wollte Tillmann einwenden, als ihn der Blick der Großmutter traf.
»Glauben Sie mir, mein lieber Tillmann, die Polizei ist keine Hilfe«, erklärte die Großmutter ernst. »Ohne Polizei müssten wir jetzt nicht diesen traurigen Jahrestag begehen. Die haben schon damals –«
»Schluss jetzt! Ich will nichts mehr von all dem hören!«, ging der Großvater dazwischen. Er trank einen Schluck. »Prost! Jetzt wird gegessen und danach verschwindet hier jeder auf sein Zimmer und bleibt auch dort. Ich hole meine Flinte aus dem Schrank. Heute Nacht schieße ich auf alles, was sich bewegt!«
Nachtschattenbeschattung
Als Tillmann nur wenige Minuten nach Lilly das Zimmer betrat, hatte sie schon ihre galaverdächtige Abendgarderobe über einen Stuhl drapiert und lag im Bett.
»Ich bin hundemüde«, sagte sie gähnend.
Tillmann sah sie ungläubig an. »Wir stecken hier mitten in einem wahrhaft unheimlichen Krimi und du willst dich jetzt einfach so ins Bett legen und schlafen? Das ist nicht dein Ernst!«
»Nicht?« Lilly gähnte erneut.
»Nein.« Tillmann stieß die Tür zum Badezimmer auf. Eine alte Stalllaterne erhellte das Bad nur notdürftig. »Wir müssen reden!«
»Also gut.« Lilly setzte sich im Bett auf. »Dann rede.«
Tillmann ließ die Tür halb offen und schlüpfte aus seiner Kleidung. »Erst liegt diese Veronika tot irgendwo da draußen herum, dann wird dieser Literatur-Paul ermordet. Und dann der angebliche Unfall deines Vaters. Nimmt dich das denn nicht fürchterlich mit?« Er schlüpfte in seinen Pyjama.
»Na, also was Papa betrifft …« Lilly ließ den Satz in der Luft hängen. »Du hast doch mitbekommen, was Clara für einen Unsinn erzählt!«
Tillmann drückte etwas Zahnpasta auf seine Zahnbürste. Er musste an Berts Geschichte von Fritz ’ Unfall denken und an das eiskalte Motorrad, das ganz offensichtlich nicht gefahren worden war. Vielleicht sollte er diese Geschichte wirklich nicht vertiefen, um Lilly nicht zu beunruhigen.
»Und deine Tante Lilo?«
»Ach, Lilo will doch nur ihre Ruhe haben«, erklärte Lilly schläfrig. »Die hat das mit der Magendarmgrippe bestimmt nur vorgeschoben, um auf ihrem Zimmer bleiben zu können.«
Tillmann musterte sein entsetztes Gesicht im Spiegel. Lilly wusste also noch gar nichts von all diesen schrecklichen Ereignissen. Er zögerte und begann zunächst, seine Zähne zu schrubben. Dann begegnete er erneut seinem eigenen Blick im Spiegel. Nein, es war genug der Geheimniskrämerei. Er würde diese Scharade nicht länger mitspielen …
»Ach, was! Lilo ist auch tot«, sagte er, die Zahnbürste noch im Mund. Tillmann warf einen Blick auf die Badewanne, die im Halbschatten der Stalllaterne lag. »Man hat sie vermutlich in der Badewanne ertränkt.«
Er spülte die Zahnbürste ab, gurgelte kurz und klatschte sich eine Handvoll Wasser ins Gesicht. »Ich wollte vorhin zur Polizei«, erklärte er, griff nach dem Handtuch und trocknete sein Gesicht ab. »Man hat die Reifen von meinem Auto abmontiert, die kompletten Räder … Ich vermute mal, das sind die Reifen, über die dein Großvater im Keller gestolpert ist.«
Tillmann löschte die Laterne. »Und was ist das eigentlich für eine Sache mit der Entführung damals, mit deinem Onkel?« Er schloss die Badezimmertür hinter sich und blieb vor dem Bett stehen.
»Lilly?« Tillmann sah ungläubig zu ihr hinunter.
Lilly hatte sich tief in die Kissen gekuschelt und schlief.
»Na toll«, murmelte er und warf einen Blick auf ihren Nachttisch. Da lag eine Schachtel mit Baldriankapseln. Tillmann inspizierte den Blister. Es war halbleer. Lilly hatte ihrem Schlafbedürfnis offenbar kräftig nachgeholfen.
Seufzend schlich Tillmann um das Bett herum auf seine Seite und ließ sich auf die Bettkante sinken. Wo war er hier nur hineingeraten?
Er löschte die kleine Gaslampe, aber an Schlaf war nicht zu denken. Seine Gedanken kreisten um Lilly und ihre seltsame Familie. Immer wieder schossen ihm die Informationsfetzen, die er über diese eigenartige Entführung erhascht
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