Der Verlobte
»Wer sind Sie eigentlich?«
»Elisabeth.« Sie musterte Clara, als sei sie ein seltenes Insekt. »Ich bin, nein, ich war die Lebensgefährtin von Lilo.«
»Oh, ihr habt euch getrennt«, sagte Clara mitfühlend. »Das tut mir aber leid.« Sie drückte Onkel Leopold innig die Hand. »Siehst du Ludger, die Leute trennen sich. Die Liebe ist nichts mehr wert. Wie gut, dass wir uns haben!«
Bert legte seufzend eine Hand vor die Stirn, als könne er diese Farce nicht mehr mit ansehen. Er verzichtete sogar auf eine blöde Bemerkung.
Die Großmutter seufzte ebenfalls und sah Lilly an, die aber nur weiter versonnen vor sich hin lächelte. Tillmann beobachtete sie aus den Augenwinkeln, traute sich jedoch nicht, sie anzusprechen.
Hinter Lillys Rücken schnitt Mama-Lou ihm Grimassen und gestikulierte herum. Ob sie den Brief meinte, den sie ihm gegeben hatte? Tillmann sah sie an und zog den Umschlag vorsichtig ein Stück hervor. Mama-Lou schüttelte wild den Kopf und begann, mit den Armen zu rudern. Er ließ den Umschlag wieder in seine Jackett-Tasche gleiten. Seltsamerweise ruderte Mama-Lou weiter mit ihren Armen und gerade als Tillmann begriff, dass sie das Gleichgewicht verlor, kippte der Stuhl auch schon nach hinten.
»Louise!«, rief die Großmutter verärgert.
Jammernd kauerte Mama-Lou auf dem Fußboden, während Lilly sie verstört ansah.
Tillmann stand auf und half Mama-Lou auf die Beine. Irgendwie waren sie ja schon so etwas wie ein eingespieltes Team. Sie rieb sich das runde Hinterteil.
»Ach, mir ist ganz schwindelig«, jammerte sie mit leidvollem Gesichtsausdruck.
»Das wundert mich nicht besonders«, sagte die Großmutter.
Mama-Lou klammerte sich an Tillmann. »Ich glaube, ich muss mich ein bisschen hinlegen. Försterchen, bringst du mich auf mein Zimmer?«
Tillmann war einen Moment lang unentschlossen, doch die Großmutter nickte ihm zu.
»Bringen Sie Louise bitte hinauf, mein lieber Tillmann«, sagte sie. »Wir wollen doch keine weiteren Unfälle riskieren.«
Tillmann dachte an das Kuvert, das er bei Mama-Lou auf der Kommode gesehen hatte. Irgendetwas wusste sie über diese seltsamen Briefe. Außerdem wollte er zu gerne wissen, was in dem Umschlag steckte, den sie ihm gegeben hatte.
Stöhnend und ächzend schleppte sich Mama-Lou an Tillmanns Seite aus dem Speiseraum und durch die Halle. Als sie auf der Treppe waren, machte sie sich plötzlich los und stapfte munter vor Tillmann her. »Kommen Sie! Schnell!«, flüsterte sie. Er folgte ihr.
»Sie haben sich aber schnell erholt«, stellte Tillmann fest, als sie Mama-Lous Zimmer betraten.
Sie schloss eilig die Tür. »Schnell, der Brief!« Sie zündete eine kleine Gaslampe an. »Er lag auf dem Teller von Fritz.«
Tillmann zog den Umschlag aus der Tasche. Er war unbeschriftet.
»Na los, was steht drin?«, drängelte Mama-Lou.
Mit flinken Fingern öffnete er das Kuvert und las: » Gestern am Abgrund, heute schon viel weiter. Und Leo poldert hinterher. «
»Ha!«, stieß Mama-Lou grimmig hervor. Sie öffnete die Kommode und holte zwei bunte Becher hervor. Dann nahm sie wahllos eine der angebrochenen Flaschen, die zwischen Kosmetika und Schmuck herumstanden, und goss die Becher voll.
»Hier ist ein Rechtschreibfehler.« Tillmann deutete auf das Papier.
»Och, du oller Lehrer«, maulte Mama-Lou. »Hier, trink mal einen Schluck.« Sie reichte ihm einen Becher.
»Hier ist aber wirklich ein Rechtschreibfehler«, beharrte Tillmann. »Und ich glaube nicht, dass das ein Zufall ist … Leo poldert .«
»Hmh, kann schon sein«, meinte Mama-Lou und nahm einen kräftigen Schluck. »Ah, endlich etwas Anständiges im Magen!« Sie schenkte sich gleich noch mal nach.
Anstandshalber nippte auch Tillmann an dem hochprozentigen Gebräu.
»Willst du mir nicht ein bisschen Gesellschaft leisten, Försterchen?«, fragte sie grinsend. »Ich habe genug zu trinken da.«
Er schüttelte den Kopf. Auf keinen Fall wollte er Lilly längere Zeit aus den Augen lassen. Und er musste seine Beobachtungen endlich der Polizei mitteilen. Die Situation geriet ja immer weiter außer Kontrolle!
»Nein, ich muss mich um Lilly kümmern«, erklärte Tillmann mit einem gequälten Schwiegersohn-Lächeln.
»Na gut«, sagte Mama-Lou und füllte bereits zum dritten Mal ihren Becher. »Dann habe ich wenigstens mehr zu trinken.« Sie nahm einen Samson-Perowski-Krimi von der Kommode und ließ sich aufs Bett plumpsen.
»Sie sollten die Tür besser abschließen«, ermahnte Tillmann sie. »Wer
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