Der Verlobte
weiß, was noch alles passiert.«
»Ach, du süßes Försterchen, mich klaut schon keiner!« Mama-Lou lachte herzhaft. »Leider …«
Tillmann beeilte sich, zurück ins Speisezimmer zu kommen. Der klägliche Rest der Gesellschaft saß um die Tafel herum, als sei nichts gewesen. Sie nuckelten an ihren Aperitifs und plapperten belangloses Zeug. Tillmann verspürte einen Moment lang unbändige Lust, laut zu schreien. Doch er durfte nicht aus seiner Rolle fallen. Er wollte erst in Ruhe mit Lilly sprechen.
»Na, sind Sie die alte Schnapsdrossel losgeworden?« Bert grinste gehässig.
Tillmann bedachte ihn mit einem verärgerten Blick und enthielt sich jeden Kommentars. Die Großmutter quittierte dies offenbar mit Wohlwollen.
In diesem Augenblick erschien der Großvater in der Tür des Speiseraums. Er sah furchterregend aus, so als käme er direkt aus einer Schlägerei. Ein Ärmel war zerrissen, das Jackett vollkommen verdreckt und sein Hemd war nicht mehr weiß, sondern wies Schlammspuren auf. Die Krawatte hing in Fetzen herunter. Er strich sich durch die zerzausten Haare, und als er zu seinem Platz ging, hinkte er leicht.
»Karl-Gunter!«, rief die Großmutter entsetzt. »Wie siehst du denn aus? Hast du dich geprügelt?«
»Hat irgendwer in meiner Abwesenheit diesen Raum verlassen?«, fragte der Großvater grollend und sah voller Ingrimm in die Runde.
Sofort richteten sich alle Blicke auf Tillmann.
»Wie?«, entfuhr es ihm unwillkürlich.
» Er war ziemlich lange weg«, sagte Clara und zeigte unverblümt mit dem Finger auf Tillmann.
»Stimmt!« Die Augen der schrillen Elisabeth funkelten.
»Was ist denn passiert?«, fragte Tillmann irritiert.
»Als ob Sie das nicht genau wüssten«, höhnte Bert.
»Mein Junge, hüte deine Zunge«, mischte sich die Großmutter ein.
Der Großvater winkte ab. »Zunächst einmal hatte ich überhaupt kein Licht da unten und bin über einen Stapel Autoreifen gefallen.«
Autoreifen? Tillmann spitzte die Ohren.
»Irgendein Idiot ist auf die Idee gekommen, die Winterreifen im Weinkeller einzulagern«, knurrte der alte Herr verärgert und blickte finster in die Runde. »Und dann hat man mich überfallen.«
Wieder wanderten alle Blicke zu Tillmann. Der hob abwehrend die Hände.
Der Großvater jedoch schüttelte nur den Kopf. »Wer immer mir da unten in die Quere gekommen ist«, er zeigte auf Tillmann, »er kann es nicht gewesen sein.« Er wischte sich den Staub vom zerrissenen Ärmel seines Jacketts. »Nicht, dass ich Ihnen das nicht zutrauen würde«, er sah Tillmann durchdringend an. »Aber Sie sehen einfach zu … unversehrt aus.« Er rollte mit den Augen und setzte sich auf seinen Stuhl. »Ludmilla, sind die Hunde draußen?«
Die Großmutter nickte nur. »Glaub mir, Karl-Gunter, kein Mensch kann sich mehr unbemerkt ins Haus schleichen.«
»Oder nur einer, den die Hunde kennen und mögen«, warf Bert ein.
»Was ist denn mit Leopold?«, fragte Clara. »Der ist schon ganz lange weg.«
Der Großvater betrachtete sie stirnrunzelnd. »Wieso? Er sitzt doch neben dir.«
»Aber Opa, das ist doch Ludger«, erklärte Bert grinsend.
»Genau.« Clara nickte heftig und tätschelte Onkel Leopolds Wange. »Dass du die beiden auch immer verwechseln musst.« Sie kicherte albern. »Wie gut, dass mir das nicht passiert!«
Tillmann warf einen Seitenblick auf Lilly. Ihr Verhalten musste doch auch ihrer Familie seltsam vorkommen.
»Willst du dich nicht wenigstens umziehen, Karl-Gunter?«, fragte die Großmutter säuerlich. »Und der Wein? Was ist denn jetzt mit dem Wein?«
»Nein. Ich habe keine Lust mich umzuziehen.« Der Großvater legte die Stirn in Falten. »Außerdem kannst du ganz beruhigt sein, Ludmilla. Dem Wein ist nichts passiert. Er wird gerade in der Küche dekantiert.«
»Sag mal Opa, was war denn nun wirklich im Keller los?« Bert schob den leeren Teller von sich. »Du siehst echt krass aus!«
»Man hat versucht mich niederzuschlagen, aber es blieb bei einem kläglichen Versuch«, erklärte der Großvater knapp aber mit unverhohlenem Stolz in der Stimme.
»Wer macht denn so was?« Die Großmutter schüttelte ungläubig den Kopf.
»Leider konnte ich im Dunkeln nichts erkennen.« Der Großvater probierte den dargebotenen Wein. »Ein bisschen kalt, aber hart erkämpft.« Er nickte dem Dienstmädchen zu.
»Das hätte ich nicht von Leopold gedacht«, sagte Clara empört. »Du, Ludger?«
Onkel Leopold lächelte verlegen. »Clara, misch dich da bitte nicht ein.«
»Was ist
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