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Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Brief: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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möglichst zu schonen.
    Eine Krüppelkiefer wuchs schief an dem höchsten Punkt des kleinen Buckels, den ihre eigenen Wurzeln aufgeworfen hatten,und sie lehnten Glimfáin gegen deren schrägen Stamm. Beide Vahits waren anschließend völlig aus der Puste, obwohl sie den Dwarg nur vier oder fünf Klafter weit geschleift hatten. Sein Oberkörper schien nicht verletzt zu sein. Jedenfalls schlossen sie das aus seinem nahezu unversehrten Lederwams. Auch die aus dickem Tuch bestehenden Ärmel waren zwar durch die ölige Asche völlig verschmutzt, aber sie waren ebenfalls unangesengt geblieben und glänzten lediglich nass. Der breite Gürtel umspannte nach wie vor seinen Leib, und erst jetzt sah Finn mehrere Beutel daran hängen, zwei Laschentaschen und einen reich verzierten Dolch in einer Scheide. Diese eine Waffe erinnerte Finn an die andere.
    Er stellte sich auf die Zehenspitzen und suchte nach Glimfáins Axt, aber weiter als ein paar Schritte reichte die Sicht nicht mehr, und innerhalb dieses Kreises fand er sie nicht. Er gab es auf und hockte sich wieder neben den Dwargen.
    »Ob er in seinen Kisten eine Decke hat oder einen Mantel?«, überlegte Tallia. »Schau, er zittert vor Kälte.«
    »Es ist nicht allein die Kälte«, antwortete Finn. »Es ist der Wundschmerz, der ihn vor allem beben lässt. Jetzt bräuchten wir Circendil hier. Und zwar dringend. Er wüsste, was bei derartigen Verbrennungen zu tun ist. Ich bin nicht sicher   … Vielleicht war es falsch, ihn hierher herauf zu bewegen. Das Wasser da unten kühlte die Wunden wenigstens, auch wenn er dabei fror. Wir müssen etwas tun, aber ich weiß nicht was. Wir brauchen mehr Licht, als Erstes. Aber genau das dürfen wir nicht entzünden.«
    »Ich verstehe nicht   …«
    »Guan Lu«, sagte Finn. »Hast du ihn schon vergessen? Er ist hier irgendwo. Sobald wir ein Licht anmachen, sieht und findet er uns.«
    »Glaubst du, er war der Angreifer? Ich habe niemanden gesehen. Nur das Feuer, das vom Himmel fiel.«
    »Es fiel aus dem Himmel, aber nicht vom Himmel, Tallia. Ich habe den Criarg schreien hören. Und ich glaube auch, er streiftemich   – mit einem seiner Flügel. Und wer, wenn nicht der Ledir, sollte dieses gemeine Feuer schleudern?«
    Das Vahitmädchen sah auf und spähte in den Nachthimmel hinauf.
    »Du hast sicher Recht. Aber   … Ich meine, weiß er nicht ohnehin, wo wir uns befinden? Wir sind noch immer genau an der Stelle, wo uns der Angriff traf. Oh Finn, ich hatte solche Angst!«, schluchzte sie plötzlich und griff nach seiner Hand. »Ich war sicher, wir müssten sterben.«
    Finn nahm sie bei den Schultern und richtete sie auf. »Ich auch«, sagte er leise, und wie selbstverständlich strich er ihr eine nasse Locke von der Wange. »Aber jetzt ist es vorbei. Das Wasser, das Glimfáin rief, hat uns gerettet. Und ich glaube nicht, dass der Ledir weiß, wo wir uns befinden.«
    »Warum nicht?«
    »Weil er denkt, wir sind verbrannt. Er hält uns für tot, Tallia. Und in diesem Glauben müssen wir ihn belassen. Sieh, die Feuerperlen vergehen allmählich. Bald ist die letzte verglüht, und alles wird ringsum in Schwärze gehüllt sein. Entzünden wir ein Licht, weiß er gewiss, dass und wo wir überlebt haben. Wir locken ihn damit her. Wir könnten ihn genauso gut gleich rufen.«
    »Was ist, wenn er schon in der Nähe ist und uns sucht?«
    Finn dachte kurz nach, ehe er sagte: »Er ist hier irgendwo, das ganz bestimmt. Aber nicht in der Nähe. Die Criargs fürchten das Feuer   – warum sollte es mit dem von Ulúrcrum anders sein? Erinnerst du dich, was Mellow hierzu sagte? Nachdem der Ledir dieses Feuer über uns gebracht hat, wird er einen weiten Bogen geflogen sein und nun in sicherer Entfernung abwarten. Vermutlich, bis es Tag geworden ist. Ja, ganz sicher sogar.«
    »Was macht dich so sicher?«
    »Ich versuche, mich in seine Lage zu versetzen. Was hat Glimfáin uns erzählt? Guan Lu wollte dem Dwarg seinen Fund abnehmen. Und ist ihm das gelungen? Nein. Folglich sucht er es immer noch. Kann er es aber im Dunkeln finden? Wiederum nein. Alsowird er im Hellen zurückkehren, nach Tagesanbruch, wenn die Sonne über den Sturz geklettert ist. Um es zu suchen. Vorher wird er nicht kommen.«
    »Sprich leiser«, bat Tallia. »Bevor er uns tatsächlich noch hört.«
    Sie beugte sich zu Glimfáin hinunter. Der Dwarg hatte die Augen geschlossen. »Ich glaube, er schläft jetzt. Das ist das Beste, was er für sich tun kann. Wir sollten ihm mehr Sorgfalt widmen.

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