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Der verlorene Sohn von Tibet

Der verlorene Sohn von Tibet

Titel: Der verlorene Sohn von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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gesehen, völlig zerstört. Beim Dorf der Fleischzerleger.«
    »Entweder genau diese Statue oder ein perfektes Duplikat. Keine simple Reproduktion. Falls es nicht das Original war, dann eine exakte Replik.« Shan wies auf den kleinen Schönheitsfleck über der Nase. »Sogar die korrodierte Stelle an der Schulter ist da. Das ist die Arbeit eines echten Könners.«
    »Diese Mistkerle haben die Figur gestohlen.«
    »Nein«, sagte Shan. »Beachten Sie Nummer fünfzehn, die Statue des Tamdin. Die haben wir ebenfalls gesehen, und zwar in der Werkstatt. Aber sie war noch nicht fertig.«
    Der Inspektor wirkte sichtlich verwirrt. »Stimmt, die war hier, in Lhadrung, genau diese Skulptur. Und sie war noch nicht fertiggestellt.« Er blätterte hastig in seinen Notizen und zeigte Shan eine Skizze, die er am Vortag von der demolierten Figur angefertigt hatte. »Lodi hatte sie gestohlen, und seine Mörder haben sie zerstört.« Er starrte den Katalog an. »Aber Ming hat keinerlei Diebstahl gemeldet.«
    »Es gibt nur einen Grund, aus dem jemand ein dermaßen genaues Duplikat anfertigen würde, das sogar alle winzigen Mängel der Vorlage enthält: um das Original gegen die Nachbildung auszutauschen.«
    »Lächerlich!« Yao blätterte in dem Katalog und sah sich noch einmal alle markierten Fotos an. »Wollen Sie etwa behaupten, jedes einzelne dieser Stücke sei vertauscht worden? Unmöglich. Man hätte sie als gestohlen gemeldet. Irgend jemand hättees bemerkt.« Doch noch während er sprach, schien der Inspektor ein Stück in sich zusammenzusacken. Er kannte die Antwort.
    »Nicht, falls Ming darin verwickelt war«, sagte Shan. »Der Direktor kann jederzeit eines der Stücke an sich nehmen. Um es zu reinigen, beispielsweise, oder für irgendeine wissenschaftliche Untersuchung. Ming und Lodi waren befreundet.« Er erklärte, was Liya ihm über die beiden erzählt hatte.
    Yao seufzte und schaute kurz wieder in Richtung der Berge. »Aber man könnte die Originale niemals ausstellen oder öffentlich ihren Besitz zugeben. Und sie wären unbezahlbar.«
    »Korrekt. Sie wurden von einem Privatsammler erworben, für den Geld keine Rolle spielt. Und Ming hat als Mittelsmann davon profitiert. Dieser Sammler muß unglaublich reich sein. Ein Milliardär.«
    Yao schwieg sehr lange. »Sie können nicht beweisen, daß Dolan der Käufer war«, sagte er schließlich leise. »Und es ergäbe auch überhaupt keinen Sinn. Lodi hat Dolans Kunstschätze gestohlen. Und jemand anders hat das Fresko aus Qian Longs Haus entwendet.«
    »Wir reden bisher noch von dem ersten Verbrechen, nicht von den späteren«, erklärte Shan. »Lodi und Ming waren anfangs Partner. Und Elizabeth McDowell war ebenfalls dabei.«
    Yao musterte die Schafe. »Es gibt eine Prüfung«, sagte er. »Mings Museum wird überprüft. Experten von außerhalb sollen die Sammlungen begutachten und stichprobenartig einzelne Exponate untersuchen. Man fliegt aus Europa spezielle Geräte zur Thermolumineszenzanalyse ein, mit denen sich das Alter von Keramiken und Metallen bestimmen läßt.« Als er Shan ansah, schien sein Blick um Verzeihung zu bitten.
    »Wann wurde die Prüfung angeordnet?«
    »Vor vier Monaten.«
    »Hat sie schon angefangen?«
    »Nein. Die Geräte müßten demnächst eintreffen.«
    Sie verstummten. Shan griff in den Beutel, um etwas getrockneten Käse zu essen, und entdeckte einen weiteren Gegenstand, den Liya ihnen zugesteckt hatte: ein gerolltes StückReispapier, ungefähr fünfundzwanzig Zentimeter breit und fast doppelt so lang. Der Text darauf stammte von einem hölzernen Druckstock, und die tiefschwarzen wuchtigen Ideogramme waren auf einer Seite vom Sonnenlicht ausgebleicht worden. Verblüfft zeigte Shan seinen Fund dem Inspektor und las die Zeilen dann laut vor.
    Geschätzte Untertanen des himmlischen Kaiserreiches, hiermit tun wir kund und zu wissen, daß wir denjenigen, der uns den seit mehr als sechs Monaten vermißten Prinzen Kwan Li zurückbringt, zur Belohnung mit Gold aufwiegen werden. Wer auch immer Seine Heilige Fürstlichkeit vor uns verborgen hat, wird zur Strafe eines langsamen Todes sterben. Sollte jemand über Wissen verfügen und uns dieses vorenthalten, wird ihn die Axt ereilen. So soll es im ganzen Land bekanntgemacht werden. Zittert und gehorcht.
    Den Abschluß der gedruckten Seite bildete ein komplexes, mit zinnoberroter Tinte aufgetragenes Siegel, das Shan zuletzt vor vielen Jahren gesehen hatte. »Das ist der Stempel von Kaiser Qian Long«, sagte Shan

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