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Der verlorene Sohn von Tibet

Der verlorene Sohn von Tibet

Titel: Der verlorene Sohn von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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zögernd und ungläubig.
    »Liya erlaubt sich einen üblen Scherz«, sagte Yao.
    »Das glaube ich nicht. Man könnte einen Test vornehmen. Vermutlich wäre einer der Studenten im Gästehaus dazu in der Lage. Aber ich halte dieses Dokument für echt. Es stammt vom alten Kaiserhof. Ich schätze, Ming hat eine Menge vor uns geheimgehalten.«
    Sie starrten beide den Namen an. Kwan Li. Den gleichen Namen hatte Shan auf der Staffelei im Konferenzraum gelesen. Nun fiel ihm noch etwas auf. Am unteren Rand des halb eingerollten Blattes hatte jemand eine handschriftliche Notiz hinzugefügt. Tot, auf Anordnung des Steindrachen-Lama , stand dort in verblichenen tibetischen Buchstaben. Mögen die Götter siegreich sein.
    Der Fahrer war gern bereit, einen kleinen Umweg auf sich zu nehmen und sie nicht in Lhadrung, sondern am Fuß der östlichen Hügel abzusetzen. Etwa anderthalb Kilometer entfernt standen graue Lastwagen, die auf einen neuen Arbeitseinsatz der Sträflinge hindeuteten. Tan ließ die Gefangenen mehreregroße Flächen roden, die gleich unterhalb der ersten hohen Berggrate lagen.
    Nach einer halben Stunde erreichten Shan, Yao und Dawa die Kammlinie und folgten ihrem Verlauf. Es roch nach verbranntem Holz, vermischt mit etwas anderem. Kordit, erkannte Shan, ein Sprengstoff. Er hob Dawa auf den Arm und lief los, bis er sehen konnte, daß Fionas robustes kleines Haus unversehrt geblieben war, wenngleich der obere Teil des Brennofens und das zugehörige Gebäude nicht mehr existierten. Die Trümmer lagen in dem kleinen, inzwischen niedergetrampelten Gerstenfeld verstreut.
    Die Tür des Hauses stand auch diesmal offen, und als Shan einen Blick hineinwarf, sah er Fiona dort am Tisch sitzen. Sie schob bunte Scherben zu mehreren Haufen zusammen. Es war Porzellan, erkannte Shan beim Eintreten. Jemand hatte das Teeservice zerschlagen, und Fiona ordnete nun die Bruchstücke der Tassen, Kanne und Untertassen.
    »Jara meint, er kann in der Stadt Klebstoff besorgen«, sagte sie, ohne den Kopf zu heben.
    »Es tut mir leid, Fiona«, sagte Shan. »Aber ich bin froh, daß dir nichts geschehen ist.«
    »Unseren Ivanhoe haben sie nicht angerührt«, sagte sie bekümmert und stand langsam auf. »Sie waren nur an alten tibetischen Dingen interessiert. Einige der peche und all meine alten Statuen haben sie mitgenommen. Und sie wollten wissen, ob ich Wegbeschreibungen zu den Pilgerstätten besitze. Als sie die englischen Bücher sahen, haben sie gefragt, ob Lodi zu meiner Familie gehört. Dann haben sie eine kleine Bombe in meinen Brennofen geworfen.«
    »Kanntest du die Männer?«
    »Nein. Es waren zwei, ein Großer und ein Kleiner mit krummer Nase.«
    Shan nahm das Gruppenfoto aus der Tasche und zeigte auf die Männer neben Dolan.
    »Ja«, murmelte Fiona, und ihre Miene verfinsterte sich. Seufzend berührte sie ein anderes der Gesichter. Sie hatte ihren Neffen Lodi erkannt. Als sie aufblickte, lächelte sie traurig.»Die Männer hatten keine Ahnung, wo sie suchen mußten.« Sie führte ihn zu dem Anbau mit den Schlafmatten und räumte drei Decken beiseite. Dahinter stand ein kleiner Gebetstisch, auf dem normalerweise Schriften zur Lektüre ausgebreitet wurden. Shan verharrte schweigend und schaute kurz nach draußen, wo Yao und Dawa den braunen Hund streichelten. Dann verfolgte er, wie Fiona die Tischplatte anhob und zwei alte peche und ein Filzbündel darunter hervorholte. Sie lehnte sich zurück und entfaltete das Bündel auf ihrem Schoß. Es enthielt ein leuchtend bunt verziertes Stück gelber Seide mit blauem Brokatsaum.
    Shan war völlig verblüfft, dachte nicht mehr an Yao und Dawa, ließ sich auf die Knie nieder und betrachtete Fionas Schatz. Es war ein Gewand, kunstvoll bestickt mit den Abbildern von Kranichen, Drachen und Fasanen.
    »Meine Familie hat es vor vielen Generationen als Bezahlung erhalten, für eine Keramikstatue von Buddha.«
    »Weißt du, von wem?« flüsterte Shan und beugte sich vor, um die Symbole auf dem Gewand genauer in Augenschein zu nehmen. Rund um die Tiere waren Äxte und Bögen angeordnet.
    Fiona schüttelte den Kopf. »Das weiß keiner mehr.«
    Doch Shan erkannte auch so, worum es sich handelte. Er berührte die verschlungenen Symbole nicht, sondern hob die Ärmelaufschläge an, deren Schnitt einem Pferdehuf ähnelte. Als endgültige Bestätigung dienten ihm die Drachen mit fünf Klauen am unteren Rand der Robe. Nur eine einzige Familie durfte sich mit diesen Drachen schmücken. So unglaublich es auch

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