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Der verlorene Sohn von Tibet

Der verlorene Sohn von Tibet

Titel: Der verlorene Sohn von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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Stöhnen erklang. Khan befahl ihnen, die Kammer nicht zu verlassen, und trat hinaus auf den Gang. Dort ertönte wenig später ein Ächzen. Corbett lief hinterher und kehrte gleich darauf zurück. Er trug Khans Füße. Der Mann war bewußtlos. Ko, der die Arme des Mongolen hielt, warf seinem Vater einen triumphierenden Blick zu. Sie setzten Khan auf den Stuhl, und Yao fing an, ihn mit den eigenen Schnürsenkeln an die Lehnen zu fesseln. Ko holte das Gewehr aus dem Korridor und gab es Corbett.
    »Wo ist Dolan?« fragte der Inspektor.
    »Der bringt seine Beute nach draußen«, erwiderte Ko hastig. »Wir müssen abhauen, bevor er zurückkommt.«
    »Wo ist Dolan?« wiederholte Shan.
    »Er wird uns keine Schwierigkeiten mehr machen.«
    Shan sah seinem aufgeregten Sohn forschend ins Gesicht. Dann wurde ihm plötzlich alles klar. »Du hast ihn im Labyrinth zurückgelassen«, sagte er. »Du hast die Lampe mitgenommen und ihn im Dunkeln zurückgelassen.«
    »Für seinen Reichtum ist er nicht besonders schlau. Er ließ mich die einzige Lampe halten. Ich habe nicht fest zugeschlagen, nur heftig genug, daß er zu Boden gegangen ist.«
    »Du hast das geplant«, sagte Corbett. »Deshalb hast du dich heute morgen an ihn herangemacht und von den Kapellen erzählt.«
    Ko schien ihn gar nicht zu hören. Er starrte nur herausfordernd seinen Vater an. »Du wolltest doch Gerechtigkeit. Dies ist Gerechtigkeit. Ich habe behauptet, McDowells Leiche würde in einer der Kapellen liegen. Ganz nah bei ihm.«
    »Er könnte da drinnen sterben«, sagte Shan.
    »Er hat Punji ermordet«, gab Ko zurück. »Wahrscheinlich wollte er uns auch umbringen, sobald er uns nicht mehr benötigen würde. Aber dann habe ich gesehen, wieviel Angst ihm diese beiden toten Mönche eingejagt haben, und da war mir klar, was mit ihm geschehen mußte. Wir sollten jetzt gehen. In die Berge. Oder zurück nach Lhadrung, falls dir das lieber ist. Er soll hier vermodern.«
    Khan regte sich. Er riß an seinen Fesseln und brüllte laut wie ein Raubtier im Käfig. Corbett hieb ihm den Gewehrkolben gegen den Kopf, und der Mongole sackte abermals bewußtlos zusammen. Der Amerikaner sah die Waffe an und zuckte die Achseln. »Tut mir leid«, sagte er, als hätte das Gewehr sich von allein bewegt. Dann lehnte er es gegen das Regal.
    Shan und Yao widmeten sich wieder der Untersuchung des Raums, überprüften die peche , musterten erneut die Gemälde und versuchten, das letzte Rätsel des Mandala-Palasts zu ergründen.
    »Wir müssen gehen«, drängte Ko nach einigen Minuten.
    »Erst müssen wir begreifen«, sagte Shan.
    »Dann gehe ich eben allein«, sagte Ko, und in seiner Stimme schwang der alte Trotz mit.
    Bevor Shan etwas entgegnen konnte, stolperte Lokesh zur Tür herein und fiel auf das Bett, weil jemand ihm einen Stoß versetzt hatte. Hinter ihm betrat Dolan den Raum, in einer Hand eine Pistole, in der anderen eine Butterlampe.
    Als Corbett auf das Gewehr zugehen wollte, drückte Dolan zweimal ab. Einen halben Meter neben Corbetts Kopf wurden Holzsplitter aus dem Regal gerissen. »Nur zu. Liefern Sie mir einen Grund«, knurrte Dolan. Er war blaß, und über seine Wange zog sich ein Blutrinnsal. Seine Augen lagen tief in den Höhlen, und er schien um Jahre gealtert zu sein. Als Shan einen der Splitter aufhob und zum Regal ging, eilte Dolan zu Ko, dersich in den Schatten einer Wand zurückgezogen hatte, und schlug ihm mit der Pistole gegen die Schläfe. Ko ging in die Knie.
    »Du hast wohl nicht damit gerechnet, daß der alte Mann mit einer Lampe kommen würde, um sich seinen Freunden anzuschließen, du kleines Arschloch! Du wolltest mich dort einfach zurücklassen!« In der Stimme des Amerikaners schwang noch immer das Entsetzen mit, das er in der Finsternis verspürt haben mußte, als er sich in dem alten Tempel lebendig begraben wähnte.
    »Sie hatten dringend eine innere Einkehr nötig«, stöhnte Ko und hielt sich den Kopf.
    Shan sah seinen Sohn überrascht an und machte einen Schritt auf ihn zu. Dolan hielt ihn mit erhobener Waffe zurück.
    »Das habt ihr euch so gedacht, was? Ihr glaubt, mein Geld macht mich zu einem oberflächlichen Menschen, und nur weil ihr irgendwelchen Hokuspokus über Seelen von euch gebt, haltet ihr euch für was Besseres.« In seinem Blick lag ein wirres Funkeln. Die Dunkelheit war ihm nahegegangen, womöglich in genau der Weise, die Ko beabsichtigt hatte. »Ihr wißt gar nichts. Man hat mir Preise verliehen, Preise für meine Wohltätigkeit,

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