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Der verlorene Sohn von Tibet

Der verlorene Sohn von Tibet

Titel: Der verlorene Sohn von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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stellte er dann vorwurfsvoll fest. »Wieso sind wir überhaupt hier? Ich dachte, ihr wolltet sie aufhalten. Statt dessen räumt ihr für sie die Trümmer weg.«
    Corbett und Yao reagierten nicht. Shan sah seinen Sohn bekümmert an, doch ihm fiel nichts ein, das Ko hätte hören wollen.
    »Wir haben mit angesehen, wie McDowell von Khan ermordet wurde. Es ist unser Recht, ihn dafür zu töten.«
    »Nein«, sagte Shan. »Niemand hat das Recht zu töten.«
    Ko schnaubte verächtlich, warf den Rest seiner Mahlzeit zu Boden und verschwand in den Schatten.
    »In Ko lodert ein Feuer, das all seine Gefühle bestimmt«, merkte Lokesh sachlich an. Noch bevor Shan etwas darauf erwidern konnte, griff der alte Tibeter hinter einen Felsen und holte eine Handvoll Zweige hervor. »Wacholder«, flüsterte er, und Shan begriff, daß zumindest Lokesh einen Plan hatte. »Ich habe ihn am Festtag hier versteckt, nur für den Fall.« Als er die Zweige ins Feuer warf, fiel ihm Corbetts fragende Miene auf. »Die Rauch wird die Götter anlocken«, versicherte er dem Amerikaner.
    Doch sobald die Zweige brannten, war es Dolan, der zu ihnen kam und sie finster anstarrte. Er schwankte ein wenig, was offensichtlich auf den Whiskey zurückzuführen war. »Uns bleibt noch ein Tag«, verkündete er. »Ich muß wegen einer Vorstandssitzung zurück in die Vereinigten Staaten.« Statt Wut lag nun etwas Kaltes und Gehässiges in seiner Stimme. Ming hatte ihn im Stich gelassen, und auch die toten Mönche schienen ihm irgendwie die Stirn geboten zu haben. Er war es eindeutig nicht gewohnt, daß man sich ihm widersetzte. »Morgen werdet ihr mich in die oberste Kammer bringen, zum Schatz des amban . Dort helft ihr mir, alles einzupacken und zu verladen. Danach dürft ihr euer kümmerliches Dasein weiterführen.«
    Niemand entgegnete etwas. Dolan schaute immer wieder zu dem Loch im Schutt, wo Gendun mit den Toten sprach. »Ihr werdet alles vergessen. Nichts hier kann euch dermaßen wichtig sein«, sagte er in einem merkwürdig wehleidigen Tonfall. Dann zog er ein Scheckbuch aus der Tasche und fing an zu schreiben. »Ich bin kein schlechter Mensch, sondern nur sehr beschäftigt.« Er riß einen Scheck ab. »Einhunderttausend Dollar«, rief er und ließ den Zettel vor Shans Füße fallen. Shan sah nicht einmal hin. Dolan schrieb weiter. »Noch mal hunderttausend«, sagte er und warf den zweiten Scheck auf Corbetts Schoß. Corbett ignorierte ihn. »Verdammt. Ihr habt nichts zu gewinnen und alles zu verlieren. Hier geht’s doch bloß ums Geschäft.« Er stellte einen dritten Scheck aus und warf ihn Yao hin. »Es sind Barschecks. Macht damit, was ihr wollt.«
    Corbett nahm zögernd den Scheck von seinem Schoß. »Also gut, ich werde Ihnen helfen«, sagte der FBI-Agent. »Aber für hunderttausend Dollar möchte ich Sie sagen hören, daß Sie das Mädchen in Seattle getötet haben.« Er warf den Scheck ins Feuer. Einen Moment lang geriet Dolan völlig außer sich. Er fiel auf die Knie und schien ernstlich zu erwägen, das brennende Papier aus den Flammen zu ziehen. »Wir sind unter uns«, fuhr Corbett fort. »Es gibt hier keine Tonbandgeräte. Keine Zeugen, die Ihnen zu Hause gefährlich werden könnten. Nur uns. Wie Sie bereits sagten, unsere Aussagen wären bedeutungslos.Ich habe Ihnen soeben hunderttausend Dollar gezahlt. Es ist alles rein geschäftlich.«
    Als Dolan den Kopf hob und Corbett ansah, wirkte sein Blick verständnislos, beinahe verwirrt. »Ich will mir doch nur holen, was mir zusteht, und dann von hier verschwinden. Ich kann euch alle reich machen«, sagte er tonlos. »Jeder will reich sein.« Noch während er sprach, stand Lokesh auf und kam näher. Dolan schaute verstört zu Khan, der in fünfzehn Metern Entfernung mit dem Gewehr stand.
    »Wir vollenden jetzt den Steinhaufen, um den Abt und den britischen Mönch zu ehren«, sagte Lokesh. »Jeder von uns wird einen Stein hinzufügen und ein Gebet sprechen.«
    Sie alle erhoben sich. Dolan verfolgte wortlos, wie sie zu dem Steinhaufen gingen, und reagierte nicht, als Ko aus der Dunkelheit gehuscht kam, um die beiden verbliebenen Schecks vom Boden aufzuheben.
    Lokesh hatte irgendwo einen Gebetsschal aufgetrieben und klemmte ihn unter einem der oberen Steine des Haufens fest. Niemand sprach, während alle ihren Beitrag leisteten und Ko zum Abschluß einen großen flachen Stein auf die Spitze des Hügels legte. Dann stellten sie sich im Halbkreis um den Steinhaufen auf und blickten zu der offenen Kammer,

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