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Der verlorene Sohn von Tibet

Der verlorene Sohn von Tibet

Titel: Der verlorene Sohn von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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an.
    »Es gibt in Tibet doch überhaupt keinen Markt für teure Kunstgegenstände«, sagte Shan.
    Yao ignorierte den Einwand. »Wir wurden beim letztenmal unterbrochen«, sagte er. »Sie wollten mir erklären, wie man dieses Fresko gestohlen hat.«
    Schweigend verharrte Shan einen Moment lang und sah, wie sich auf Yaos Miene immer mehr Verdruß breitmachte. »Zuerst erzählen Sie mir, was Ming von Surya wollte.«
    »Ming hat ihn eines Tages in diesem Turm angetroffen, wo er an einem Bild malte. Ihm wurde schnell klar, daß Surya sich mit den alten Künsten auskannte und wußte, auf welche Weise die Artefakte in den Bergen versteckt wurden. Ming glaubt, die gesuchten Diebe handeln aus politischen Motiven. Es geht ihnen darum, die ursprünglich von hier geraubten Kunstwerke an die Herkunftsorte zurückzubringen.«
    »Und er hat Surya verdächtigt?«
    »Nur in der Hinsicht, daß sein geheimes Wissen für uns nützlich sein könnte. Surya hat in Rätseln über die Gemälde und sogenannte Orte der Macht gesprochen. Anfangs war Ming fasziniert, aber letztendlich erwies Surya sich bloß alsverrückter alter Narr. Er behauptete sogar, er sei noch nie in Lhadrung gewesen, und führte sich auf, als habe er bis jetzt wie ein Tier in irgendeiner Höhle gelebt. Erst sagte er, er sei ein Mönch, dann sagte er, er sei kein Mönch. Im Büro hat er immerzu an den Lichtschaltern herumgespielt, als sähe er zum erstenmal eine Glühbirne.« Shan schaute zu Corbett, der ihm erzählt hatte, Surya habe ein Bild des Todes zeichnen sollen. Vermutlich war damit der Schutzdämon Zhokas gemeint gewesen, dessen Namen niemand aussprechen wollte.
    Yao leuchtete in den Gang, der zu dem unterirdischen Wasserlauf führte, und spähte mißtrauisch in die Dunkelheit.
    »Wie kommen Sie darauf, daß eine Verbindung zwischen den Dieben und diesen Ruinen besteht?« fragte Shan. »Sie wußten doch gar nichts von dem gestohlenen Fresko, bis ich es Ihnen gezeigt habe.«
    »Uns ist keine konkrete Verbindung bekannt«, sagte Corbett. »Wir wissen bloß, daß dieser William Lodi auf direktem Weg von Seattle in die Berge von Lhadrung gereist ist. Laut den Experten gibt es in diesem Gebiet auch heute noch tibetische Artefakte, die schon seit Jahrhunderten in ihren Verstecken liegen, in Höhlen und alten Schreinen. Man hat hier angeblich nie so systematisch danach gesucht wie anderswo. Falls Ming recht hat, bringt Lodi das Diebesgut hierher, um es vielleicht einfach nur zu deponieren oder in einer Höhle zu vergraben. Womöglich sollen manche der Gegenstände an exakt dieselben Orte gebracht werden, von denen man sie vor einigen Jahrzehnten entfernt hat.«
    »Und zu welchem Schrein sollte er wohl ein italienisches Wandgemälde aus dem achtzehnten Jahrhundert zurückbringen?«
    Yao durchbohrte ihn mit einem zornigen Blick. »Das ist nur eine Theorie, mehr nicht.«
    Corbett ging ein paar Schritte in den Tunnel und blieb dann stehen. »Hier gibt’s nichts mehr zu holen. Diese Leute haben sich das Kunstwerk geschnappt und sind weitergezogen. Das sollten wir auch.« Er schien sich nur ungern dem tückischen Bach nähern zu wollen.
    »Dies hier ist das bislang deutlichste Zeichen ihrer Anwesenheit. Vielleicht haben sie etwas hinterlassen«, sagte Yao.
    »Zum Beispiel?« fragte Corbett.
    Der Inspektor warf Shan stirnrunzelnd einen Blick zu und zuckte die Achseln. »Eine Blutlache.« Bei diesen Worten hielt er zwischen zwei Fingern die Holzperle einer Gebetskette hoch.
    Shan erschauderte. Er traute sich nicht zu, Suryas Reaktion vorherzusagen, falls dieser tatsächlich jemanden beim Diebstahl des heiligen Gemäldes überrascht hatte.
    Corbett seufzte resigniert, brachte aus seinem Rucksack ein Stirnband mit einer Lampe zum Vorschein und streifte es über. Danach holte er zusätzlich einen Strahler mit lilafarbener Linse hervor, schaltete ihn ein und ließ sich auf Hände und Knie nieder. »Ultraviolett«, erklärte er und folgte der nun sanft aufleuchtenden Blutspur zu der kleinen Zelle, vor deren Eingang Vertiefungen für einen Altar eingelassen waren und in der Shan die alte, englisch beschriftete Manuskriptseite gefunden hatte.
    »Mit dieser Lampe haben Sie in dem Turm die übermalte Inschrift zutage gefördert«, mutmaßte Shan.
    »Und was hat es genützt?« klagte Corbett. »Wir konnten es nicht …« Er hob den Kopf. »Konnten Sie diese Schrift entziffern?«
    Shan blickte wieder zu Yao. »Es war lediglich ein altes Mantra.« Er verstand immer noch nicht, warum Surya

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