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Der verlorene Sohn von Tibet

Der verlorene Sohn von Tibet

Titel: Der verlorene Sohn von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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Briefes gefunden. Der Kaiser schrieb darin, er wolle seinen Freunden in Lhadrung als Anerkennung etwas Prächtiges aus seinem persönlichen Besitz schicken.«
    »Was für Freunde?«
    »Das wissen wir nicht. Wie Sie schon sagten, er hatte Lamas in seinem Hofstaat.«
    »Und woher wissen Sie, daß der Brief echt ist?«
    »Weil Ming es gesagt hat«, entgegnete Yao unwirsch. »Ming hat dem Vorsitzenden sowohl den Diebstahl als auch den Brief gemeldet.«
    »Wollen Sie andeuten, man habe das Fresko entwendet, weil Peking vor zwei Jahrhunderten versprochen hat, Tibet ein prächtiges Geschenk zu machen? Ein politisch motivierter Diebstahl?«
    Yao lächelte nur und ging dann weiter zu den beiden verbleibenden Kammern, die ein kurzes Stück oberhalb des Wasserbeckens lagen, aus dem Corbett beinahe in den Tod gestürzt war.
    Der erste Raum war leer, abgesehen von der Staubschicht in einer der Ecken. Man sah dort die Abdrücke schwerer Wanderstiefel. Tibeter trugen keine solch teuren Schuhe. Es gab mehr als ein Dutzend Spuren in mindestens zwei verschiedenen Größen.
    Der zweite und letzte Raum wurde dank der Austrittsöffnung des Wasserfalls vom Sonnenlicht erhellt. Im Innern herrschte totales Chaos. Es lagen überall Tonscherben verstreut, und zwar mitten im früheren Inhalt der zerschlagenen Töpfe. Mehl, Zucker, Reis, aufgerissene Tütensuppen. Ein kleiner Gaskocher mit verbogenem Rahmen, als habe jemand kräftig zugetreten. Zerfetzte Teebeutel, wie sie im Westen üblich waren, ein jeder mit einem kleinen, englisch beschrifteten Anhänger versehen. Ein Karton Latexhandschuhe, in den man ein Glas Honig geleert hatte. Daunen aus zwei aufgeschlitzten Schlafsäcken.
    Yao wies auf die Abdrücke in Mehl und Zucker.
    »Wenigstens drei verschiedene Paar Stiefel. Die hier stammen vermutlich von den Eigentümern der Vorräte«, sagte Shan und zeigte auf die Spuren am Eingang. Die Personen hatten sich von dort aus einen Überblick verschafft.
    Nur eine Fährte verlief direkt in die entlegenste Ecke, und sie wies als einzige nicht das tiefe Profil westlicher Machart auf, sondern war glatt, wie bei den Sohlen der weichen Stiefel, die von vielen Tibetern bevorzugt wurden. Shan folgte ihr zu einem anderen Tongefäß, das unter einer Plane verborgen lag. Es enthielt in Plastik verpackte Batterien, deren Größe zu der metallenen Taschenlampe gepaßt hätte, die Shan bei seinem ersten Besuch aufgefallen war. Daneben fand sich eine leere Zigarillopackung. Mit Rum verfeinert, stand auf dem Etikett.
    Yao gab ein leises zufriedenes Geräusch von sich, das wie ein Schnurren klang, und fing an, den Raum zu untersuchen. Er leuchtete in jeden Winkel und sogar an die Decke. Innerhalb der nächsten fünf Minuten stieß er auf mehrere Ladestreifen für ein Gewehr, die in einem weiteren Tongefäß verstaut waren, sowie auf eine kleine, mit Verputzstaub bedeckte Akkukreissäge.
    »Uns liegt die chemische Zusammensetzung des Wandverputzes von Qian Longs Haus vor«, verkündete Yao, hob mit siegreichem Lächeln die Säge und nahm das Blatt heraus. »Falls hieran auch nur ein mikroskopisch kleiner Krümel davon klebt, werden wir ihn finden.«
    Shan starrte ihn an und nickte wortlos. Er hatte sich unterdessen noch einmal mit den Fußspuren beschäftigt. Die glatten Abdrücke waren als erste hinterlassen worden, so als habe ein einzelner Tibeter die Verwüstungen angerichtet. Surya trug solche Stiefel.
    Zehn Minuten später trafen sie wieder bei Corbett ein. Er stand mit einer Pinzette in der Hand über einen flachen Stein gebeugt. Darauf lag ein Blatt Papier, auf dem der Amerikaner die Ergebnisse seiner ausführlichen Suche angeordnet hatte. Drei filterlose Zigarettenstummel. Ein weiterer der kleinen Zigarrenreste aus dem süßlich riechenden Tabak. Vier Rasierklingen,die in einer Felsritze gesteckt hatten. Ein Stück breites Isolierband, das in der Mitte gefaltet worden war, so daß die Klebeflächen aneinanderhafteten. Mehrere Splitter, offenbar von einem Knochen. Bruchstücke eines dunkelblauen Steins, eventuell Lapislazuli, der von tibetischen Künstlern häufig verwendet wurde. Mehr als fünfzig Perlen von Suryas Gebetskette. Und winzige graue Späne, die Shan nicht zuordnen konnte.
    »Silber«, erklärte Corbett. »Das sind Silberpartikel.« Er nahm den größten der Späne mit der Pinzette und hielt eine der Lampen dicht daneben.
    »Woher?« fragte Yao.
    »Vielleicht gab es hier noch irgendein anderes Kunstwerk«, spekulierte der Amerikaner.

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