Der verlorene Troll
herum und schüttete die Knochen aus. Yvon trat zurück und betrachtete das Ergebnis. Die Weissagungsknochen, die er in der Kaiserlichen Stadt gesehen hatte, waren weit kunstvoller gewesen. Diese da waren die Fingerknochen einer Treuhand, zweimal so groß wie die eines Mannes, mit einigen wenigen unbeholfenen, eingeritzten Symbolen. Banya betrachtete sie von verschiedenen Seiten.
»Mah!«, rief Claye.
Banya runzelte die Stirn. »Die Stimmen der Geister sind in Aufruhr. Es fällt mir schwer, in dem Durcheinander einen Rat zu erkennen. Der Kriegsknochen ist aus dem Kreis gefallen, obwohl ich ihn in der Mitte erwartet hätte. Der niedrigere Reiseknochen verdeckt die größere Reise, hier oben. Beide kreuzen den unmarkierten Knochen.« Er stocherte in dem Knochenhaufen herum. »Was habt Ihr gefragt, Mylady?«
Sie küsste die Stirn des Säuglings. »Welchem Pfad wir folgen sollen.«
»Welchen Pfad Ihr auch wählt, er führt weg vom Krieg und hin zur Dunkelheit. Das gilt für Euch alle, obwohl Ihr vielleicht nicht gemeinsam dorthin reisen werdet. Dunkelheit kann Tod bedeuten, aber auch Schlaf und Erwachen oder Veränderung. Jene, die nicht in die Dunkelheit gehen, sondern durch sie hindurch, werden wieder in das Licht treten.«
Claye reckte sich in Xaragittes Arm und wollte nach den Knochen greifen. »Aber welcher Pfad ist der sicherste für ihn?«, flüsterte Xaragitte.
Banya zuckte mit den Schultern. Dann deutete er auf einen Gebirgszug jenseits des Flusses. »Wenn Ihr in die Berge geht, findet Ihr vielleicht ein Versteck. Das Land ist nicht sehr fruchtbar, aber an Unterschlupf dürfte es Euch nicht fehlen. Dort gibt es viele leerstehende Höfe, die von unseren Frauen verlassen wurden, als sie vor dem Bauernaufstand flohen.«
»Ist es sicher dort?«, fragte Xaragitte.
»Seid Ihr hier sicher?«, antwortete der Zauberer schneidend. »Darf sich irgendein Geschöpf mit zwei oder vier Beinen auf dieser Welt jemals sicher fühlen?«
Vom Tal hallte ein schwaches Lärmen herauf, wie von Mammuts oder Hörnern. Claye wand sich in Xaragittes Arm und schaute aufgeregt in die Richtung, aus der die Laute kamen. »Mahmah«, sagte er. »Mahmah!«
»Bringt Ihr uns über den Fluss?«, fragte Yvon den Zauberer. Eine andere Möglichkeit wollte ihm nicht einfallen.
»Ja, am besten, Ihr geht jetzt, ehe der Tag vollends anbricht. Es ist mir lieber, wenn ich die Dämonen sehe, denen ich etwas vorsinge.«
Yvon erschauerte und griff nach seinem Schwert. Es gab drei Dinge, die er hasste und fürchtete. Mammuts waren das eine und Flussdämonen das zweite. »Kann ich etwas tun?«
»Dort drüben«, sagte Banya. Ein kleines Boot mit einem flachen Kiel lehnte an der Rückwand der Hütte. Er winkte Yvon zu sich. »Ihr nehmt das andere Ende, und wir tragen es zusammen zum Fluss.«
Das Boot war nicht schwer, aber schlecht zu tragen. Yvons Füße gerieten auf der schlammigen Böschung immer wieder ins Rutschen, aber er hielt sich aufrecht, bis sie das Boot absetzten. Der Fluss strömte von den Bergen herab, angeschwollen mit Schmelzwasser; im Sommer hätte ihm das Wasser vermutlich nur bis zur Hüfte gereicht.
»Ich sehe keine Dämonen«, sagte er hoffnungsvoll.
»Sie schlafen unten am Grund«, erklärte Banya. »Weiter als diese Furt schwimmen sie nicht. Manchmal sieht man sie plötzlich aufsteigen, an Stellen, wo man sie nie erwartet hätte, und nach den Vögeln schnappen. Wartet hier, bis ich meinen Stab geholt habe.«
Xaragitte stand hoch oben am Ufer, möglichst weit vom Wasser entfernt. Sie war ebenso wenig erpicht darauf wie Yvon, einem Dämon zu begegnen.
Banya kehrte zurück. Er trug eine Stange, so lang wie Baron Culufres gepanzertes Mammut, und führte eine Ziege an einer Leine. »Was wollt Ihr damit?«, fragte Yvon. »Wollt Ihr sie dem Dämon zum Fressen geben?«
»Nein, sie ist für Euch«, erwiderte der Zauberer. »Ich habe sie von jemandem als Bezahlung bekommen, dem ich bei der Heirat seiner Tochter behilflich war. Aber das verdammte Vieh hält mich die ganze Nacht wach. Ihr könnt sie ja schlachten, sobald Ihr ein Versteck gefunden habt, wo Ihr bleiben könnt.«
Bei dem Gedanken an das Fleisch lief Yvon das Wasser im Mund zusammen. Xaragitte sagte: »Habt vielen Dank.«
Banya summte sein Lied, während sie das Boot ans Flussufer schoben und die Ziege an Bord brachten. Sie meckerte und schlug mit den Hufen gegen die Bootswand, bis es schaukelte. Dann überredeten sie Xaragitte, herunterzukommen und sich zwischen sie zu
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