Der verlorene Troll
Banya versteckte er das Boot unter einem Gestrüpp am Ufer.
Claye saß aufrecht in Xaragittes Armen, ein Ausdruck angestrengter Konzentration auf seinem kleinen, pausbackigen Gesicht. »Er hat die ganze Zeit über Eurem Lied gelauscht«, sagte sie dem Zauberer.
»Nun, eben das war ja auch meine Absicht, liebe Frau«, sagte Banya. Er sank auf die Uferböschung und rieb sich den Hals. Dann lehnte er sich zurück, schloss die Augen und seufzte. »Mögen die Krähen sich über Eure fleischlosen Knochen streiten, Yvon. Ihr habt es zugelassen, dass der Dämon Euch träumen ließ.«
Yvon brummte zustimmend.
»Fast wärt Ihr ins Wasser gefallen, und dort hätten sie Euch getötet. Ich musste Euch dreimal mit der Stange schlagen, ehe Ihr es gespürt habt.«
»Ich hatte noch nie Glück mit Dämonen«, gestand der Ritter.
»Vielleicht ist das Euer Schicksal. Kein Mann kann seinem Schicksal entkommen. Habt Ihr schon einmal ein Kaninchen rennen sehen, wenn es erschreckt wurde?« Er beschrieb mit der Hand einen Bogen durch die Luft. »Es rennt im Kreis und kommt genau da wieder an, wo es losgelaufen ist. Wartet dort, und Ihr könnt es immer fangen. Ähnlich machen es die Götter mit den Menschen.«
Xaragitte schob Claye auf ihre andere Hüfte und setzte sich. Die Ziege graste am Ende des Stricks.
Yvon ließ sich neben Xaragitte fallen. Er hätte sofort einschlafen können, und das nicht nur, weil die Magie des Dämons noch in ihm wirkte. Gerade als seine Augen zufielen, hallten erneut Trompetenklänge zwischen den Talwänden wider. Ein solcher Klang konnte gut und gerne meilenweit zu hören sein, aber Yvon schüttelte dennoch die Trägheit aus seinen Gliedern und stand auf.
Banya richtete sich ebenfalls auf. »Ihr müsst weiter.«
Xaragitte stemmte sich hoch und strich über ihren Rock.
»Welche Richtung?«, fragte Yvon.
Banya deutete auf einige niedrige Berge, die in einem rechten Winkel zum Fluss aufragten. »Geht ostwärts über den Bergkamm nach Norden, um die Talsenken herum. Da gibt es einige alte Bauernhöfe, in denen Ihr Euch niederlassen könnt. Aber je weiter Ihr geht, desto eher werdet Ihr auf Katzen und Hunde aller Art stoßen. Vergeßt das nicht, wenn Ihr im Freien übernachtet.«
Yvon wusste das bereits. »Wie gefährlich sind die Bauern?«
Banya wandte den Blick ab. »Man findet dort mehr als einen alten Krieger, der damals an dem Aufstand beteiligt war, aber ich glaube nicht, dass sie Euch ohne Euren Zopf erkennen. In ihren Augen sehen die Westländer alle gleich aus.« Er deutete mit dem Kinn auf die Schlucht. »Ich werde mir dort ein Versteck suchen. Ihr zwei müsst nun aufbrechen.«
»Habt vielen Dank«, sagte Xaragitte. »Dreimal wünsche ich Euch Behaglichkeit in Eurem Heim. Möge es Euch schützen und Euch Wohlleben schenken.«
»Lebt wohl«, sagte Banya. »Welchen Weg Ihr auch wählt, lebt wohl.«
Und er stieg summend zum Fluss hinunter.
Yvon schaute zu den Bergen. Er öffnete seine Wasserflasche, nahm einen Schluck und reichte sie Xaragitte. »Wir sollten weitergehen, bis wir einen Unterschlupf gefunden haben«, sagte er. »Später, wenn uns niemand folgt, werden wir eine kurze Rast einlegen.«
»Woher wissen wir, ob uns auch niemand folgt?«, fragte sie und blieb stehen, um den Ziegenstrick kürzer zu machen.
»Määääh!« Claye schaute die Ziege an und lachte.
»Das wissen wir nicht. Wir können nur hoffen, dass wir sie zuerst sehen«, sagte Yvon. »Und wenn wir sie sehen, ist es sowieso schon zu spät.«
Vom Flussufer aus war die Schlucht fast nicht zu sehen, aber gleich jenseits des Hügels ging sie in weite Wiesenhänge über, die sich fast bis zu den Berggipfeln hinaufzogen. Die Morgenröte strömte über die toten, winterverdorrten Gräser und wärmte Yvon. Xaragitte nahm die Decke von ihren Schultern, damit er sie in seinem Bündel verstauen konnte. Sie folgten den Pfaden Richtung Nordosten, wie Banya es ihnen geraten hatte. Obwohl sie niemanden trafen, entdeckten sie immer wieder Spuren der Bergbauern: Rauchschwaden in der Ferne, Bäume mit eingeritzten Botschaften, die Grundmauern eines Hauses, das während der Rebellion zerstört wurde. Am späten Vormittag stießen sie auf einen verlassenen Obstgarten voller Pflaumenbäume. Allein der Anblick der kahlen Aste ließ Yvons Magen vor Hunger knurren. Das Essen von Sebius im Heereslager hatte ihn daran erinnert, wie angenehm sich ein gut gefüllter Bauch anfühlte.
»Können wir hier eine Weile ausruhen?«, flehte
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