Der verlorene Troll
Interesse.«
Steinchen spürte seinen innerlichen Aufruhr und fing an, ihn rücksichtsvoll am Kopf zu lausen. »Im Frühling werden die anderen sehen, wie schlecht ihre Entscheidung war«, sagte sie, »Dann wird es eine neue Abstimmung geben.«
»Vielleicht«, erwiderte Made. Sein Gesicht war wehmütig, traurig, und das Lächeln auf seinem Gesicht wirkte noch fremder an ihm als die Felle, die er trug. »Hört zu, ich wollte vorhin nichts davon erzählen, weil es eigentlich für das Festmahl gedacht war. Falls ich gewonnen hätte. Aber so ist es besser, denn dann habt ihr vier mehr davon.«
Tauber leckte sich die Lippen. »Was ist es? Noch ein Buckelrücken?«
»Menschen«, sagte Made einfach. »Eine kleine Horde, die über den Südpass kam. Ich weiß nicht, ob sie sich verlaufen haben, aber sie wurden vom Schneesturm überrascht und blieben im Schnee stecken. Ich habe die Leichen unter ihren Sachen vergraben und darübergepisst.«
Stumpf grinste von Ohr zu Ohr. »Wo sind sie? Auf geht’s!«
»Folgt dem Wind und dem steinigen Fluss, bis dorthin, wo er zwischen den hohen Steinen hindurchfließt. Dort seht ihr eine Lichtung mit Kastanienbäumen.« Er lächelte Stumpf an. »Wenn ihr das Fleisch nicht findet, könnt ihr immer noch die Kastanien essen.«
»Ich kenne diesen Ort«, rief Steinchen begeistert. »Da ist auch ein tiefer Felsvorsprung, direkt neben dem Fluss. Wir können den Tag über dort schlafen und morgen Nacht weiteressen.«
Die drei erhoben sich und machten sich unverzüglich auf den Weg. Windy stand ebenfalls auf. Schwarze Punkte tanzten vor ihren Augen. Als sie wieder klar sehen konnte, entdeckte sie, dass Made immer noch am Boden kauerte. »Komm mit«, sagte sie.
Er streckte die Zunge heraus. »Würdest du das Fleisch eines anderen Trolls essen?«
»Nein!« Etwas konnte nicht mit ihm stimmen, wenn er ihr eine so dumme Frage stellte. Trolle begruben ihre Toten fern des Lichts, damit sie am heißen Tag des Todes vorbeiziehen und in die lange süße Nacht des Lebens eintreten konnten.
Made kauerte sich neben sie. »Und ich werde niemals Menschenfleisch essen.« Er verstummte und suchte noch einmal ihre Haut nach Ungeziefer ab. »Ich bin ein Mensch, Mutter. Ich bin kein Troll.«
»Du bist ein guter Troll.«
»Ich habe mir große Mühe gegeben. Das habe ich vorhin bewiesen. Ich bin in jeder Beziehung ein besserer Troll als Ambrosius, nur in einer nicht: Ich bin kein Troll.«
Ein stechender Schmerz schoss durch ihren Arm bis in ihre Brust. »Was wirst du jetzt tun?«
»Ich werde ins westliche Tal gehen, dorthin, wo ich geboren wurde. Schon seit Jahren beobachte ich die Menschen, wenn sie durch die Berge ziehen. Vielleicht kann ich lernen, so zu sein wie sie. Vielleicht finde ich eine Horde, der ich mich anschließen kann.«
Ah, das ist es also, dachte sie - vielleicht ist es am besten so. Sie nahm seine Hand und ging mit ihm aus dem Steinkreis heraus. »Wir werden den anderen den Fluss entlang folgen«, sagte sie zu ihm. »Dann schlafen wir den Tag über unter dem Steinvorsprung und ziehen morgen weiter.«
Er versuchte, seine Hand wegzuziehen, doch sie klammerte sich daran wie eine alte Wurzel, die sich an einen Felsen krallt.
»Mama?«
»Ja.«
»Mama?«
»Ja.«
»Mama, das muss ich alleine tun. Du musst hier bleiben. Du gehörst hierher.«
Stumpf tauchte wieder auf dem Bergkamm auf und verströmte einen besorgten Duft. Er war sehr freundlich. Als er sah, dass mit ihr alles in Ordnung war, spritzte er einen weiteren Duftstoß in die Luft.
Made hatte noch nie die richtige Duftmarke von sich gegeben, hatte noch nie gesagt, dass er sie liebte. Und doch wusste sie, dass er das tat, dass er sie immer lieben würde.
»Geh mit ihnen, Mama«, sagte er sanft. »Ich komme schon zurecht.«
Wieder zog er seine Hand fort, ganz sachte. Und sie tat das Schwerste, was sie je in ihrem Leben getan hatte: Sie ließ ihn los.
Kapitel 11
Helle Farbblitze, eine wirre Reihe davon, die unter lautem Geschrei durch das braungrüne Netz des Waldes marschierten.
Made kletterte auf einen anderen Ast, damit er besser sehen konnte. Kiefernnadeln stachen in seinen nackten Rücken. Der Ast bebte leicht unter seinen schwieligen Füßen. Blau und gelb und weiß, näher, noch näher. Made beugte sich vor und…
Ja, die flache Brust und der Bart gehörten eindeutig zu einem Mann. Made blies die Nasenflügel auf, verzog das Gesicht und hockte sich wieder auf die Fersen.
Er war aus den Bergen in die Täler
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