Der verlorene Ursprung
durch die Straßen, bis es Zeit wurde, ins Hotel zurückzukehren. Es blieb noch einiges zu tun. Das Abendessen ließen wir uns auf Jabbas und Proxis Zimmer bringen, das größer war als meines. Wir konzentrierten uns auf die praktische Seite der Aufgabe, die uns am nächsten Tag erwartete. Zunächst aber begab ich mich ins Internet, um nach meiner Post zu sehen. Es waren achtundzwanzig E-Mails eingegangen, die meisten von Nuria. Ich las sie alle und faßte in einer einzigen langen E-Mail meine Antworten zusammen. In der Zwischenzeit hatte Proxi die Digitalkamera an den anderen Laptop angeschlossen und lud die Fotos herunter, die sie in Tiahuanaco gemacht hatte. Die Bodenplatte von Lakaqullu vergrößerte sie auf Originalgröße und druckte sie Ausschnitt für Ausschnitt auf unserem kleinen Reisedrucker aus.
Möglicherweise würden wir ja Glück haben, und einer der Stäbe paßte in die Vertiefung im Helm, doch was danach kam, lag vollkommen im dunkeln. Wir wußten nur, daß wir vermutlich durch gänzlich unbeleuchtete Gänge würden laufen müssen, die über fünfhundert Jahre nicht betreten worden waren. Vielleicht stießen wir dabei auf irgendwelches Getier oder auf Fallen. Am allerwichtigsten war, daß wir das JoviLoom-Programm mitnahmen, denn falls wir bis zur Kammer des Reisenden gelangten und dort nicht in der Lage waren, die Inschriften auf den Goldtafeln zu entziffern, hätten wir den weiten Weg umsonst gemacht. Das Übersetzungsprogramm war also unentbehrlich, weshalb alle Akkus unseres Laptops (der Originalakku und Ersatzakkus) geladen und einsatzbereit sein mußten.
Wir machten eine Liste von allem, was wir am nächsten Tag vor unserem Aufbruch nach Tiahuanaco kaufen mußten. Natürlich durfte das Material nur wenig Platz einnehmen, damit die Wächter am Eingang nicht auf uns aufmerksam wurden. Es war uns nicht entgangen, daß sie stichprobenartig Handtaschen und Rucksäcke untersucht hatten. Den Reiseführern zufolge versuchten dreiste Touristen häufig, Steine aus dem Ruinenfeld als Souvenir mitzunehmen. Unser anfängliches Vorhaben, uns nachts, außerhalb der Öffnungszeiten, einzuschleichen, hatten wir bereits verworfen. Denn nach unserem ersten Tiahuanaco-Besuch fanden wir den Gedanken selbstmörderisch, im Dunkeln auf dem steinigen Gelände umherzuirren und uns womöglich zu verletzen oder gar das Genick zu brechen. Wir würden die Anlage nachmittags aufsuchen, bei Tageslicht, und uns die Tatsache zunutze machen, daß Lakaqullu kaum besichtigt wurde und es in dem Teil nur wenige Sicherheitsvorkehrungen gab.
Am nächsten Tag durchstreiften wir das Zentrum von La Paz in allen Richtungen und liefen durch die luxuriösen Wohnviertel Sopocachi und Obrajes im tiefer gelegenen Teil der Stadt. Dort befanden sich Einkaufszentren, Banken, Kunstgalerien und Kinos, und wir kauften in verschiedenen Läden unsere Ausrüstung zusammen: drei LED-Stirnlampen der Marke Petzl, drei Mini-Maglite-Taschenlampen, die schmal waren wie Kugelschreiber und nicht länger als ein Handteller, mehrere dünne Rollen Kletterseil, Schutzhandschuhe, ein kleines Bushnell-Fernglas, einen Silva-Kompaß Modell Eclipse-99 und mehrere Wenger-Multifunktionsmesser. Es mag paradox erscheinen, daß wir in einem so armen und verschuldeten Land ohne Probleme derart teure Markenartikel fanden. Aber Bolivien war ein typisches Bergsteigerziel, und aufgrund der Nähe des Landes zu den USA gelangten die besten und modernsten Produkte viel früher dorthin als zu uns nach Spanien. Das mußten wir zu unserem Erstaunen vor allem in den Computerfachgeschäften feststellen. Die Frage, ob die Mehrheit der Bevölkerung die teuren Artikel kaufen konnte, stand natürlich auf einem ganz anderen Blatt - sie blieben wohlhabenden Einheimischen und betuchten Touristen vorbehalten.
Mittags kehrten wir ins Hotel zurück und riefen Yonson Ricardo an, um zu fragen, ob er uns am Nachmittag wieder nach Tiahuanaco bringen könnte.
»Nein, das wird nicht gehen«, sagte er ohne Bedauern.
»Mein Taxiteam hat heute frei, und ich könnte Probleme mit der Gewerkschaft kriegen. Aber ich werde Sie guten Händen anvertrauen. Mein Sohn Freddy bringt Sie mit seinem Privatwagen hin, und Sie zahlen ihm die gleiche Summe wie mir neulich. Ist das in Ordnung?«
Gerecht war das nicht, weil wir den Vater für einen ganzen Arbeitstag bezahlt hatten und vom heutigen Montag bereits die Hälfte verstrichen war. Außerdem war Freddy kein Taxifahrer. Aber es war sinnlos, sich wegen solcher
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