Der verlorene Ursprung
begegnet, und weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Bevor er uns mitten in der Einöde zurückließ, riet Don José uns, wir müßten uns beeilen, wenn wir noch vor Einbruch der Dunkelheit ankommen wollten. Vor uns läge noch eine gute Stunde Fußmarsch. Die Sonne brannte auf uns nieder, nur leicht abgemildert durch unsere Hüte, die wir vorsorglich mitgebracht hatten. Ich trug den Panamahut, den ich mir in Tiahuanaco gekauft hatte, um meine langen Haare vor Martas Blicken zu verbergen. Und obwohl meine Haare jetzt in La Paz in einer Mülltonne vermoderten, leistete er mir hervorragende Dienste nicht nur als Sonnenschutz, sondern auch gegen die Moskitoschwärme. Sie umschwirrten uns trotz des Insektenmittels wie graue Wolken.
Kaum war Don José nach langen, umständlichen Wendemanövern auf dem Rückweg nach Rurre und aus unserem Blickfeld verschwunden, standen wir mutterseelenallein am Rande des Regenwalds. Efrain zog eine der Landkarten aus der Hosentasche und breitete sie auf dem Boden aus. Mit Hilfe meines GPS-Empfängers bestätigten wir unsere Vermutung, daß wir uns ganz in der Nähe einer Kontrollstation der Parkwächter befanden. Unser Plan sah vor, uns bis zum Einbruch der Dunkelheit versteckt zu halten, um uns dann direkt an der Nase des schlafenden Wächters vorbei in den Park zu schleichen. Ein ausgesprochen gefährliches Manöver, denn wir riskierten, in der Dunkelheit einen Puma, eine Schlange oder einen wild gewordenen Tapir aufzuschrecken. Doch wir wollten nur so weit vordringen, bis wir unbemerkt die Grenze hinter uns gebracht hatten, und uns dann irgendwo bis zum Sonnenaufgang verkriechen und schlafen. Eine lange Woche ununterbrochener Fußmärsche lag vor uns, immer der auf der Goldkarte eingezeichneten Route folgend. Ich hatte sie selbst Punkt für Punkt auf den GPS übertragen, so daß er uns die Richtung weisen konnte.
Wir drangen in den östlichen Teil des Dschungelgebiets ein. Dort war er weniger dicht bewachsen, und die schlanken Palmen behinderten uns kaum. Außerdem fiel uns das Laufen leicht. Wir waren gut ausgeruht und voller Tatendrang, was, wie Marta und Gertrude uns erklärten, an dem Höhenunterschied vom Andenhochland zum viel tiefer gelegenen Dschungel lag. Die Wirkung der Höhenkrankheit kehrte sich quasi um, da die Luft hier im Tiefland sauerstoffhaltiger war.
»Dieser Effekt wird noch ein paar Tage anhalten«, sagte Gertrude, die das Schlußlicht unserer Marschkolonne bildete.
»Wir sollten das möglichst ausnutzen.«
Wer für wen verantwortlich sein sollte, hatten wir noch am Abend zuvor einvernehmlich geregelt: Marc war Gertrude zugefallen, weshalb er jetzt den vorletzten Platz in unserer Kolonne einnahm. Da Lola Marta zugeteilt worden war, lief sie direkt vor Marc. Und ich gehörte zu Efrain, der vorneweg marschierte und uns den Weg mit der Machete in der Hand bahnte. Da ich um einiges größer war als er, mußte ich allerdings häufig den Kopf einziehen, um mich nicht im Gesicht zu verletzen.
Während wir uns vorwärts kämpften, veränderte sich fast unmerklich die Vegetation. Das Unterholz - Gräser, Gestrüpp und die Sträucher in Bodennähe - wurde immer dichter und undurchdringlicher. Die von wuchernden Pflanzen und Schlinggewächsen erdrückten Palmen bekamen dickere Stämme und standen immer enger zusammen. Schließlich bildeten sie fünfzehn bis zwanzig Meter über unseren Köpfen mit ihren Wipfeln ein Dach, das kaum mehr Licht hindurchließ. Die infolge der hohen Luftfeuchtigkeit fast klebrige Schwüle begann ihren Tribut zu fordern. Zum Glück hatten wir uns spezielle Dschungelkleidung gekauft: Wir alle trugen langärmelige Hemden, die sofort den Schweiß aufsogen und schnell trockneten, wenn sie einmal naß wurden. Sie sorgten für einen optimalen Temperaturausgleich, bei Kälte wie bei Wärme. Unsere Hosen waren nicht nur aus elastischem Material, sondern atmungsaktiv, wind- und wasserabweisend und im Handumdrehen, je nach Bedarf, in lang oder kurz verwandelbar.
Eine halbe Stunde nachdem wir die Straße verlassen hatten, stießen wir schließlich auf eine Lichtung. Dort begrüßte uns ein riesiges Schild: »Willkommen - Welcome. Nationalpark und autonom verwaltetes Naturschutzgebiet«, und darunter die witzige Zeichnung eines sich an den Buchstaben entlanghangelnden Affen auf gelbem Grund. Unmittelbar hinter dem Schild blockierte, halb vom üppiggrünen Dickicht überwuchert, eine kleine Holzhütte mit Palmendach den Durchgang in das
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