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Der verlorene Ursprung

Der verlorene Ursprung

Titel: Der verlorene Ursprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Schutzgebiet. Zu unserer Verblüffung schien das Häuschen leer zu sein. Weit und breit war keine Spur eines menschlichen Wesens, ob Wachtposten oder nicht, zu entdecken. Efraín ging schweigend nach hinten zu Gertrude, legte ihr eine Hand auf die Schulter und schob sie zurück, damit sie vom Wachhäuschen aus nicht gesehen werden konnte. Alle sechs verkrochen wir uns im Dickicht, legten lautlos unsere Rucksäcke ab, um zu warten, bis es richtig dunkel war. Der Boden, auf dem wir hockten, schien brodelnd heiß wie ein dampfender Ofen. Überall knackte und knirschte es, und als die Dämmerung einbrach, wurden die Geräusche immer lauter und schließlich ohrenbetäubend: Das Zirpen der Zikaden vom Tag wich dem schrillen Kreischen der nächtlichen Grillen und der Grashüpfer, in das ein seltsames Geheul von oben aus den Baumwipfeln einstimmte. Dazu gesellte sich der ungeheure Lärm, den die Frösche des nahe gelegenen Río Beni mit ihrem Quaken und Trommeln veranstalteten. Als reichte das noch nicht, um moderne Städter wie Marc, Lola und mich an den Rand des Nervenzusammenbruchs zu bringen, füllte sich die undurchdringliche Dunkelheit um uns herum allmählich mit kleinen flackernden Lichtern, die uns umschwirrten. Sie stammten von widerwärtigen Insekten, die unsere drei Begleiter mit flinken Handbewegungen einfingen, während sie entzückt flüsterten: »Glühwürmchen, wie hübsch!«
    Nun, diese ach so hübschen Glühwürmchen waren keine niedlichen Nektarsammler, sondern immerhin an die vier Zentimeter lange, also eher gigantische Glühwürmer, die loderten wie Leuchtfeuer.
    »Hier sind die Dinge generell sehr groß, Arnau«, erklärte mir Gertrude leise. »Im Amazonasgebiet ist alles überproportional und gewaltig.«
    »Erinnerst du dich an den britischen Colonel Percy Harrison Fawcett, der 1925 hier in der Gegend verschollen ist?« fragte mich Efrain flüsternd. »Nun, er war ein Freund von Sir Arthur Conan Doyle, dem Erfinder von Sherlock Holmes. Sir Arthur hat diesen wunderbaren Roman mit dem Titel Die verlorene Welt geschrieben. Darin kommen Riesentiere vor. Anscheinend haben ihn die Schilderungen des Colonels von seinen Abenteuern hier in der Gegend dazu inspiriert.«
    Wortlos nahm ich den Hut ab und versuchte mit wildem Gefuchtel die Glühwürmchen zu verjagen. Diese verstanden das wohl im vollen Bewußtsein ihrer Größe und Überzahl absichtlich als Einladung zu einem lustigen Spielchen und versteiften sich darauf, mir immer näher auf den Leib zu rücken. Mein empfindlichster Körperteil war mein seit der Kopfrasur ungeschützter Nacken, und beim bloßen Gedanken, eines dieser Insekten könnte mich dort auch nur mit den Flügeln streifen, bekam ich eine Gänsehaut. Ich hatte mich noch nicht daran gewöhnt, den Hals frei zu haben. In dem Augenblick, glaube ich, beschloß ich zum ersten Mal, etwas an meiner Einstellung zu ändern. Um mich herum war alles Natur in ihrer ursprünglichsten und wildesten Form. Hier handelte es sich nicht um meinen sorgfältig gehegten und von einem Gärtner fachmännisch gepflegten Garten in der Stadt, der darauf achtete, daß kein Ungeziefer in mein Haus gelangte. Hier besaß ich keinerlei Entscheidungsgewalt. Ich konnte meine Umgebung, anders als die häusliche, nicht im geringsten beeinflussen. In Wahrheit waren wir die Eindringlinge, und so lästig mir die Hitze, die Insekten und das dichte Gestrüpp auch waren, entweder ich paßte mich an, oder ich würde zum Störfaktor für die Expedition und mich selbst werden. Was hatte es für einen Sinn, ständig daran zu denken, daß ich Tausende von Kilometern entfernt ein Haus voller riesiger, an ein System künstlicher Intelligenz angeschlossener Bildschirme besaß, das allein dazu diente, mein Leben bequem, sauber und angenehm zu gestalten ...? Instinktiv nahm ich das Handy aus dem Rucksack und schaltete es ein, um zu probieren, ob es funktionierte. Die Batterie war geladen, und der Satellitenempfang ging auch. Ich seufzte erleichtert. Immerhin hatte ich noch Verbindung zur Zivilisation und hoffte, es würde in den nächsten zwei Wochen so bleiben.
    »Heimweh nach Barcelona?« fragte mich Marta Torrent im Flüsterton. Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, da die Sonne längst untergegangen war.
    »Scheint so.« Ich schaltete das Handy wieder aus und steckte es weg.
    »Das ist der Dschungel, Arnau«, sagte sie. »Hier nützt Ihnen Ihre Technik wenig.«
    »Ich weiß. Ich werde mich schon dran gewöhnen.«
    »Vertun Sie sich nicht,

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