Der verlorene Ursprung
vor unsere kleine Gruppe, fixierte uns und zeigte in die Richtung, aus der wir gekommen waren. Als wir uns nicht von der Stelle rührten, streckte er den Arm gebieterisch noch einmal in dieselbe Richtung. Er forderte uns auf, vor ihnen herzulaufen und auf dem Fußweg zwischen den Farnen zurückzugehen.
»Was sollen wir machen?« fragte mein Freund.
»Was sie uns befehlen.« Efrain faßte Gertrude bei der Hand und stapfte los.
»Das gefällt mir ganz und gar nicht«, brummte Marc.
»Wenn du eine bessere Idee hast«, ich packte Marta am Arm als Aufforderung, mit mir zu kommen, »schenke ich dir Ker-Central. Mein Wort.«
»Wie wär’s mit: >Laßt uns abhauen und um unser Leben rennen.«« Marc grinste spöttisch.
»Nein, das gilt nicht.«
»Wußte ich es doch«, sagte er zu Lola, die das Schlußlicht bildete.
Da ich dem Braten nicht traute, drehte ich mich nach den Toromonas um, falls sie mit ihren Lanzen auf uns zielten oder etwas in der Art. Doch die Indianer standen noch am selben Fleck mitten im Dschungel und ließen uns nicht aus den Augen. Der Anführer verharrte in würdevoller Haltung, der Schamane lächelte.
Es war das Ende einer weiteren Etappe unseres unglaublichen Abenteuers. Ich fragte mich, ob wir sie jemals wiedersehen würden, denn ohne ihre Hilfe würden wir es nie schaffen, in die Zivilisation zurückzukehren. Doch wer konnte schon wissen, welches Ende diese seltsame Reise nehmen würde.
Dreißig Meter weiter verengte sich der Pfad wie die Spitze eines Bleistifts, bevor er abrupt endete. Dort angelangt, blieben wir stehen. Wir wußten nicht weiter. Sollten wir warten oder zu den Toromonas zurückkehren?
Rechts von mir raschelte es auf einmal im Farn, und ich blickte blitzschnell zur Seite. Da tauchte plötzlich ein nackter Arm auf, schob die Blätter auseinander, und dann stand, weniger als einen Meter entfernt, ein Kerl vor mir. Er war so groß wie ich oder noch größer, trug ein langes ärmelloses Hemd, das in der Taille von einer grünen Schärpe zusammengehalten wurde, und in den Ohrläppchen einen großen Goldschmuck. Erst schaute er mich eine ganze Weile mit starrer Miene an, dann musterte er eingehend meine Freunde, einen nach dem anderen. Er hatte die typischen Züge der Aymara, die hohen Wangenknochen, die scharfe Nase und die leicht raubtierhaften Augen. Seine Haut war hingegen hell, sehr hell. Obwohl sie nicht so weiß war wie unsere, konnte man nicht gerade behaupten, sie gliche auch nur entfernt der des durchschnittlichen Indios.
Wir waren wie versteinert. Unfähig zu jeder Bewegung. Als er uns ein Zeichen machte, ihm zu folgen, konnten wir keinen Muskel bewegen.
Er verschwand wieder zwischen den Farnen, die sich hinter ihm schlossen, und ließ uns wie gelähmt stehen. Sekunden später tauchte er wieder auf und betrachtete uns mit gerunzelter Stirn. Seltsamerweise bewegten sich seine Augenbrauen dabei in entgegengesetzte Richtungen: Beide bildeten sie eine Tilde, doch während die eine nach unten, zur Nase hin, zeigte, deutete die andere mit einem Schlenker nach oben, zur Stirn hin. Unter diesen merkwürdigen Augenbrauen hervor starrte er uns an und wartete, daß wir uns in Bewegung setzten und ihm folgten.
Einer nach dem anderen schlüpften wir zwischen den grünen Fächern hindurch und drangen in dieses Meer riesiger Farnwedel vor, stumm und bedrückt, obwohl wir so lange auf diesen Augenblick gewartet hatten. Ich ging voran, und hinter mir kam Efrain. Der Yatiri - denn es gab keinen Zweifel, daß es einer war - lief, ohne anzuhalten oder die Richtung zu ändern, auf einen der Bäume zu. Und dann sah ich ihn zu meinem Erstaunen durch eine Öffnung im Baum verschwinden, eine Öffnung, vor der eine niedrige, grob gezimmerte Tür hing. Wir folgten ihm in einen dunklen Gang, in dem ich mich fühlte wie ein Lastwagenfahrer beim Durchqueren des afrikanischen Baobabtunnels. Der Baum lebte, denn offensichtlich stand er in Saft und Kraft. Sein Holz verströmte einen intensiven Duft, ähnlich wie Zedernholz. Am Ende des wenige Meter langen Gangs schimmerte Licht, woraus ich schloß, daß uns dort die Yatiri erwarteten. Ein Irrtum: Sie hatten den Baum in der Mitte ausgehöhlt und einen riesigen röhrenförmigen Raum geschaffen, von dem eine in die Baumwand geschnitzte Rampe spiralförmig nach oben führte. In unterschiedlichen Abständen waren mit Öl gefüllte Steinbecken aufgestellt, in denen Dochte brannten, wodurch dieser seltsame Kamin von einem gespenstischen Licht erleuchtet
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