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Der verlorene Ursprung

Der verlorene Ursprung

Titel: Der verlorene Ursprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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ordentlich in seine dicken, brennenden Wangen zu kneifen.
    »Der, den ihr da vor euch sitzen seht, ist eines der wenigen Genies des World Wide Web in Europa. Künstliche Intelligenz im Netz, das ist alles von ihm«, fuhr er ungerührt fort.
    Keiner sagte einen Ton, doch ich konnte im Kopf ihren kollektiven Ausruf des Erstaunens hören, der über ihre geschlossenen Lippen bis in mein Hirn drang.
    »Nun hör mal«, sagte ich warnend zu Jabba. »Wo du schon mit dem Thema angefangen hast. Ich spiele mit dem Gedanken, Ker-Central zu verkaufen.«
    Marc und Lola wurden weiß wie die Wand.
    »Red doch keinen Unsinn!« herrschte mich der rothaarige Megawurm an, der sich nur mit Mühe von dem Schock erholte. »Sonst bekommen wir heute abend noch Ärger miteinander.«
    »Sieh doch selbst, was aus mir geworden ist!« rief ich und drehte mich zu ihm um. »Ich bin bald sechsunddreißig Jahre alt und ein langweiliger Unternehmer, der den ganzen Tag nur Papiere unterschreibt. Ich brauche eine Veränderung, will wieder was tun, das mir wirklich gefällt. Und ich meine nicht diesen Schwachsinn vom Glücklichsein«, fügte ich ernst hinzu.
    »Wie Gertrude uns in La Paz erklärt hat, gibt es in unserem Gehirn nicht die kleinste Ecke, die für solche Banalitäten zuständig wäre. Was ich eigentlich meine, ist, ich möchte was tun, das mir Spaß macht. Etwas in der wirklichen Welt.«
    »Du brauchst eine neue Herausforderung«, bestätigte Marta.
    »Ja, etwas in der Art«, gab ich widerstrebend zu. Es machte mich krank, mich derart zu outen. »Ich will nicht der Verwalter fremder Ideen sein. Dafür tauge ich nicht.«
    »Na, wenn du so überflüssig bist, kannst du Ker-Central ja mir überlassen, nur verkauf es nicht! Ich hab immerhin mitgeholfen, es aufzubauen. Erinnerst du dich?«
    »Ich sag doch nur, daß ich mit dem Gedanken spiele. Okay?«
    »Sieh dich vor!« warnte mich Marc zum letzten Mal an diesem Abend.
    Das Thema kam nicht mehr auf. Es ergab sich keine Gelegenheit. Nachdem wir am nächsten Tag ein enges Tal durchquert hatten, begrenzt durch hohe Berge, die wir auf einem halsbrecherischen Steig überwanden, landeten wir am frühen Abend in einem Teil des Urwaldes, der vollkommen anders aussah als der bisherige. Es war duster und der Boden sumpfig kalt und von ungewöhnlich hohen Farngewächsen übersät, zwischen denen sich enge Pfade durch den dunklen Dschungel abzeichneten. Je tiefer wir in ihn eindrangen, desto mehr fühlten wir uns wie der arme Gulliver im Land der Riesen. Die eng zusammenstehenden gigantischen Bäume waren mit neunzig oder hundert Metern fast so hoch wie die Wolkenkratzer in New York. Am eindrucksvollsten waren die Stämme. Sie brachten es auf Umfänge von schätzungsweise zwanzig bis fünfundzwanzig Metern. Ich hatte schon von den berühmten afrikanischen Baobabs gehört, die so dick waren, daß man sie als Wohnhäuser, Ställe, Gefängnisse oder sogar Bars benutzte, in denen bis zu fünfzig Personen Platz fanden. Als ich klein war, hatte ich in einem Buch einen dieser Baobabs gesehen. Den Stamm hatte man für den Bau einer neuen Straße einfach ausgehöhlt, statt ihn zu fällen. Das hatte ihn zum einzigen lebenden Tunnel der Welt gemacht, den riesige Lastwagen problemlos passieren konnten. Efrain meinte, es handle sich um Sequoias, die höchsten Bäume der Welt. Doch dann widersprach er sich, als ihm einfiel, daß die Sequoias fast ausschließlich an der Ostküste der Vereinigten Staaten wuchsen, und zwar weit mehr als hundert Meter hoch, aber niemals so dick werden konnten wie die um uns her. Die gigantischen Wurzeln versanken im weichen Boden, den ein leicht faulig riechender Nebel bedeckte. Und ihre Wipfel verloren sich unsichtbar in weiter Ferne, verdeckt durch das Geäst, das sich unter dem enormen Gewicht bog. An manchen Stellen war es undenkbar, daß irgend etwas außer Pflanzen hier gedeihen könnte. Dort nämlich, wo es unter den wuchtigen, kaum voneinander zu trennenden Stämmen einen dichten Farnteppich gab und sich ellenlange Lianen und Kletterpflanzen, die von wer weiß wo herabhingen, zu wahren gordischen Knoten verschlangen. Ein Tier gab es jedoch. Wir konnten es nicht sehen, aber hören.
    Als ich den Gesang zum ersten Mal hörte, dachte ich unwillkürlich, es trällere jemand eine wunderschöne Melodie. Dann wurde der Ton schriller und hörte sich eher an wie ein Flöte, ein Instrument, das zweifellos auch von jemandem zum Klingen gebracht werden mußte. Ich suchte das kalte Gestrüpp um

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