Der verlorene Ursprung
altmodischen Reisenden, die noch Monate oder gar Jahre an dem Ort verbrachten, den sie kennenlernen wollten. Ich erhielt nur einen kurzen Einblick in eine fremde Welt. Das war mir klar. Mein Adrenalinspiegel war ständig so hoch wie sonst nur, wenn ich mich irgendwo in ein geschütztes Programm hackte oder tief unten in der Kanalisation Barcelonas heimlich meinen tag an die Wand sprühte. Ich war stets in Alarmbereitschaft und speicherte alles an Informationen, um mich so schnell wie möglich im Dschungel zurechtzufinden.
Eines Abends, wir waren, ohne es zu ahnen, unserem Ziel schon ganz nahe, plauderten wir vor dem Schlafen noch ein wenig. Da schaute mich Lola plötzlich an und lachte auf.
»Wirst du«, stammelte sie kichernd, »wenn du wieder zu Hause bist, Sergi weiterhin bitten, dir die kleinen harmlosen Tierchen aus deinem Garten vom Leibe zu halten?«
Selbst Marc brach in schallendes Gelächter aus. Er hatte den ganzen Tag schlechte Laune gehabt, weil er am Abend zuvor einen Falter berührt und sich danach unwillkürlich den Schweiß aus dem Gesicht gewischt hatte. Der folgende Nesselausschlag hatte seine Stimmung auf den Tiefpunkt gedrückt. Nun aber lachte er wie ein Irrer, so daß sich einige Toromonas, die auch am Feuer saßen, nach uns umdrehten.
»Wenn man dich von früher kennt und jetzt hier sieht, Arnau! Wirklich! Wenn ich das in der Firma erzähle!«
»Du wirst schön die Klappe halten«, sagte ich ernst, »oder soll ich dich auf die Straße setzen?«
»Das meinst du doch nicht im Ernst, oder?« fragte Gertrude mich besorgt. Kurz nach unserer Entführung aus der Ruinenstadt hatten wir alle, ohne genau zu wissen, warum, angefangen, uns zu duzen. Inzwischen benutzten wir das »Sie« nach Art der Bolivianer nur für die ganz privaten Gespräche, und Marc und Lola hatten sich das »Sie« angewöhnt, wenn sie miteinander stritten. Verkehrte Welt!
»Selbstverständlich meint er das im Ernst«, erklärte Marc, während er sich vorsichtig mit dem schmerzenden Handrücken die roten Strähnen aus dem Gesicht strich. »Er hat mich schon mehr als einmal gefeuert. Der wirkt nur so ruhig und beherrscht. Arnau kann teuflisch schnell in Wut geraten.«
»Mich hat er auch schon mehrmals entlassen«, erinnerte ihn Lola und zupfte gedankenverloren an den losen Fäden der kläglichen Überreste ihrer sündhaft teuren Hose aus atmungsaktivem HyVent-Material. »Aber das tut er so nebenbei. Eigentlich ist er ja ein lieber Kerl. Etwas schräg, aber lieb.«
»Schräg?« lachte Marta.
»Sie sind hier die Schrägen«, versetzte ich ungerührt. »Schau sie dir doch mal an und sag, sie seien es nicht. Ich finde sie äußerst schräg.«
»Wir haben nicht mit knapp dreißig ein Internetportal an die Chase Manhattan Bank zu dem Wahnsinnspreis von mehreren Millionen Dollar verkauft«, konterte Marc. Der spektakulärste Teil meiner Biographie war immer für eine Anekdote gut.
Marta, Efrain und Gertrude schauten mich an wie elektrisiert.
»Ist das wahr?« fragte der Archäologe erstaunt. »Das mußt du uns auf der Stelle genauer erzählen, mein Freund.«
Ich zog ein verächtliches Gesicht und deutete mit dem Kinn auf den dicken Rotschopf. »Wißt ihr eigentlich, warum wir ihn Jabba nennen?«
»Du bist ein ...«, ging Marc in die Luft, doch Lola legte ihm die Hand auf den Mund, um ihn zum Schweigen zu bringen.
»Es interessiert mich nicht die Bohne, warum er so genannt wird«, sagte Efrain. »Stimmt das mit der Chase Manhattan
Bank? Jetzt lenk nicht ab. So einfach kannst du dich hier nicht aus der Affäre ziehen.«
Der Dschungel hatte uns die letzten Reste eines zivilisierten Sozialverhaltens ausgetrieben. Der Herr der Fliegen hatte bereits auf uns abgefärbt.
»Ja, es stimmt«, gab ich resigniert zu, »doch ich habe alles in mein Haus und den Aufbau meines Unternehmens Ker-Central gesteckt.«
Das war natürlich nicht die ganze Wahrheit, doch ich hatte es schon immer ungehörig gefunden, über Geld zu reden.
»Da mußt du aber ein tolles Haus haben«, murmelte Marta mit großen Augen.
»Das hat er, das hat er«, seufzte Lola, womit sie zu verstehen gab, daß es ihr Traumhaus war. »Ihr müßtet es sehen, um es zu glauben, nicht wahr, Marc?«
»Also bitte«, protestierte ich, »was ist denn heute abend bloß mit euch los?«
»Ist deine Firma denn wirklich so groß?« fragte Gertrude, die vor Neugier fast platzte.
»In Bolivien kennt man dich nicht!« spottete Marc.
Ich hatte nicht übel Lust aufzustehen und ihn
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