Der verlorene Ursprung
Außerdem bist du mir was schuldig. Ich habe dir zwei Monate lang den Rücken freigehalten. Wo ist Marta überhaupt?«
»Im Café um die Ecke, an der ich immer parke.«
»Hoffentlich sieht sie keiner.«
»Ich glaube kaum, daß Ona sie bemerkt. Und die anderen kennen sie gar nicht.« Ich setzte mich aufs Sofa mit Blick auf die Pflanzen, die meine Schwägerin auf dem Balkon hatte. Auf dem engsten vorstellbaren Raum drängten sich Dutzende Töpfe voller Blumen.
»Du solltest hören, wie Ona über sie herzieht! Wenn sie rauskriegt, daß diese Frau in ihrer Wohnung war, bringt sie uns um!«
»Ich muß dir was gestehen, Oma.« Ich sah sie betrübt an, nahm ihre Hand und zog sie neben mich auf das Sofa. Ich wußte, es würde sie tief treffen, was ich ihr über ihren Enkel Daniel erzählen würde. Ich hatte keine andere Wahl. Sie war die Vernünftigste in meiner Familie, und falls wir meinen Bruder wirklich heilen konnten, würde er ihre Hilfe brauchen, um durchzustehen, was danach zwangsläufig auf ihn zukam. Außerdem mußte endlich Schluß sein mit dem Unsinn, den meine Familie über Marta verbreitete. Ich erklärte meiner Großmutter in groben Zügen, worum es bei der Erforschung der Quipus und Tocapus ging, und ließ die Einzelheiten weg, um sie nicht zu verwirren. Dann berichtete ich ihr, so sachte und kurz ich konnte, von dem Diebstahl der Unterlagen aus dem Büro von Marta Torrent und davon, was der Fluch bewirkt hatte. Als ich ihr schließlich berichtet hatte, was wir tatsächlich im Urwald gesucht und wie wir es gefunden hatten, rief ich Marta an und bat sie heraufzukommen.
Meine Großmutter war am Boden zerstört, als sie die Wahrheit erfuhr. Sie war die stärkste Frau, die ich kannte. Nun, Marta mochte ebenso stark sein, aber meine Großmutter hatte ich in äußerst schwierigen Situationen erlebt, die sie entschlossen gemeistert hatte. Doch als meine Großmutter hören mußte, ihr Enkel Daniel habe wichtige Unterlagen aus dem Büro seiner Vorgesetzten gestohlen, sackte sie in sich zusammen und brach in Tränen aus. Ich hatte sie nie zuvor weinen sehen, es machte mich fertig. Zum Glück erwachte ich endlich aus meiner Starre und nahm sie fest in den Arm. Ich sagte ihr, gemeinsam würden wir Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um Daniel zu helfen. In diesem Moment klingelte es, und ich ließ sie einen Augenblick allein, um auf den Türöffner zu drücken Dann, während Marta im Fahrstuhl war, eilte ich zu ihr zurück, doch zu meiner Überraschung hatte sie sich bereits gefaßt, und ihre Augen waren wieder trocken.
»Und diese Frau, diese Doctora«, sagte sie argwöhnisch, »kommt nach allem, was Daniel getan hat, hierher, um ihm zu helfen?«
»Großmutter!« Ich eilte zurück zur Tür, weil es erneut geklingelt hatte. »Marta ist in Ordnung. Du würdest das auch tun ... Jeder würde das tun.« »Wahrscheinlich hast du recht«, hörte ich sie sagen, als ich die Tür öffnete. Dort stand mit ernster Miene die Frau, die in meiner Familie so unterschiedliche, dabei niemals neutrale Gefühle weckte. Von denen in mir ganz zu schweigen.
»Bitte, komm doch rein«, sagte ich. Meine Großmutter ging Marta im Flur entgegen. »Oma, das ist Marta Torrent, Daniels Chefin. Marta, das ist meine Großmutter Eulalia.«
»Danke fürs Herkommen.« Meine Großmutter lächelte.
»Schön, Sie kennenzulernen. Ich nehme an, Arnau hat Ihnen schon mehr oder weniger erklärt, was für eine Verrücktheit wir vorhaben.«
»Einen Versuch ist es wert, nicht wahr? Ich bin froh, daß du es wagen willst. Und bitte, sag doch >du<. Wenn man wie ich über achtzig ist, steht einem das >Sie< überhaupt nicht.«
Marta lächelte, und zu dritt gingen wir in den hinteren Teil der Wohnung. Die nur angelehnte Tür neben dem Sofa im Wohnzimmer führte ins Schlafzimmer meines Bruders.
»Wollt ihr etwas trinken, bevor ihr ...«, begann meine Großmutter, wußte dann aber nicht, wie sie den Satz beenden sollte.
»Ich nicht«, sagte ich nervös.
»Ich auch nicht, danke. Zuerst möchte ich lieber nach Daniel sehen. Falls ...« Marta stockte. »Falls es nicht gutgeht, kann ich bestimmt einen kräftigen Kaffee brauchen. Und eine Zigarette natürlich.«
»Ich rauche auch!« Meine Großmutter hörte sich an, als hätte sie eine Mitverschworene ihres Geheimbunds entdeckt.
»Bist du soweit?« Ich legte die Hand auf die Türklinke und blickte Marta fragend an. Sie nickte.
Die Jalousien waren hochgezogen und die Fenster offen, wenn auch teilweise von
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